Anmerkungen zur Übersetzung
(Notizen)
1 - 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27/28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44/45, 46, 47, 48, 49, 50/51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 13l, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 154
Der Unterschied der beiden Anredeformen ist nicht immer ganz eindeutig. In Shakespeares Zeit begann sich der Wechsel zur heutigen Einheitsform you bereits abzuzeichnen.
Thou entspricht nur teilweise dem deutschen "Du": In den Dramen brauchen es z.B. sozial höher gestellte Sprecher einseitig gegenüber eindeutig tiefer gestellten Gesprächspartnern (Könige zu Bettlern, Herren zu ihren Dienern, Eltern zu ihren Kindern usw.), während diese bei ihren Antworten die you-Form zu benützen haben. Wenn diese Rangordnung vom niederern Gesprächspartner nicht akzeptiert wird, würde ein thou als Beleidigung empfunden, aber in den Sonetten kommen solche ungleiche Situationen natürlich kaum vor. Natürlich spricht aber ein Mensch ein Tier oder eine Pflanze (z.B. Sonett 99) oder eine Personifikation (z.B. Muse, oder age in Nr. 104) nur mit thou an.
Bei gleicher sozialer Stellung ist you durchaus gebräuchlich (vgl. unten), aber thou kann ähnlich wie das Deutsche "du" eine intimere Beziehung ausdrücken (z.B. zwischen Jugendfreunden, Gleichaltrigen, Arbeitskollegen, Liebenden etc.), oder einfach nur eine emotionalere Ausdrucksweise, wobei aber - je nach Situation oder Thema - auch mitten im Satz fließend zwischen you und thou gewechselt werden kann. Dies ist aber in den Sonetten nicht der Fall: Jedes Sonett hält die jeweilige Form konsequent ein, was ja auch ein Zeichen dafür ist, dass die Formen keineswegs austauschbar sind.
You ist eine Höflichkeitsform, muss aber nicht (wie die deutsche Höflichkeitsform "Sie") automatisch Distanziertheit bedeuten. Sozial höher gestellte Personen erwarten ein you auch von nur unwesentlich tiefer gestellten Gesprächspartnern (thou wäre dann eine Beleidigung), und Eltern erwarten es von den Kindern, Ältere von Jüngeren usw., aber in persönlicheren oder emotionaleren Situationen (um Wut, Hass, Liebe, Zuneigung, Mitleid auszudrücken) kann auch hier zu thou gewechselt werden.
Andererseits mag auch ein you als Beleidigung empfunden werden, wie die Schlusszeile von Sonett 145 zeigt, wo der Sprecher aufatmen kann, weil die Geliebte dieses you als Schluss von I hate you eben doch nicht braucht. (Sonett 145 ist das einzige Sonett, in dem der Gebrauch des Anredepronomens sonst nicht üblich wäre.)
Um die Unterschiede auch im Deutschen zu verdeutlichen, versuche ich, wo immer möglich (wenn es sich verstechnisch machen lässt) thou mit der alten deutschen Anredeform "Ihr" wieder zu geben. In fast allen diesen Fällen lässt sich das für den eigenen Geschmack und zum eigenen Gebrauch aber leicht wieder in die Du-Form rückgängig machen, da die Pronomen ja meist gleich viele Silben haben.
Die You-Form gebrauchen die Sonette 13-17, 52-55, 57, 58, 71, 72, 75, 76, 80, 81, 83-86, 98, 103, 104, 106, 111-115, 117, 118 und 120. (Zu 102 und 104 siehe Anm.)
Die meisten Herausgeber gehen davon aus, dass sich die Mehrheit der Sonette (1-17 ohnehin, aber dann auch 18 - 126) an einen Mann richten, das letzte Fünftel dann an eine Frau, die dark lady. Das hat damit zu tun, dass die Sonette durch ihre Reihenfolge und Anordnung vom Leser automatisch zu einer Geschichte zusammengefügt werden: Die Sonette erzählen die Geschichte einer engen, zum Teil eindeutig homoerotischen Freundschaft zwischen zwei Männern, einem älteren, sozial tiefer gestellten Mann (dem Dichter) und einem jungen Adligen, vielleicht demselben, der in 1-17 zu Heirat und Kinderzeugen gedrängt wird. Die"Geschichte", die sich aus den einzelnen Sonetten zusammensetzen lässt, ist dann durchsetzt mit Eifersuchtsszenen, Sehnsucht nach dem andern, Fremdgehen, sich wieder versöhnen usw. Da viele Sonette durch ähnliche Thematik oder ähnliche Metaphorik miteinander kreuz und quer verbunden sind, wird beim Leser der Eindruck verstärkt, sie seien auch alle an dieselbe Person, diesen mysteriösen jungen männlichen Adligen, gerichtet. Eine solche Geschichte muss es weder biographisch gegeben haben, noch ist sie wohl wirklich intendiert. Eine andere Anordnung der Sonette könnte eine völlig andere Geschichte ergeben, aber es wäre wieder eine Geschichte. Reihenfolgen werden von uns immer als Geschichten gelesen, daran lässt sich nichts ändern.
Nicht alle Sonette richten sich aber eindeutig an einen Mann oder sprechen von einem Mann (ganz oder relativ eindeutig nur Sonette 19, 20, 26, 41, 42, 53, 55, 57, 58, 63, 67, 68, 101, 124), was nicht erstaunlich ist, da der (oder manchmal wohl auch die) Angesprochene ja nur selten in der 3. Person, sondern meistens als "thou" oder "you" vorkommt, und Bezeichungen wie my love, my friend oder my treasure im Englischen geschlechtsneutral sind (bei Genitivformen lässt sich im Quellentext nicht einmal entscheiden, ob es sich um einen Singular oder Plural handelt). Das berühmte Sonett 18 könnte sich z.B. durchaus auch an eine Frau richten, ein männliches Personalpronomen taucht nicht auf.
Ob es Absicht ist, dass die Angesprochenen anonym und meist auch geschlechtlich undefiniert bleiben? Vielleicht. Natürlich muss in einer persönlichen Anrede innerhalb eines längeren Diskurses das Geschlecht des Adressaten nicht immer betont werden. Liest man die Sonette einzeln, ergibt sich - ob nun gewollt oder ungewollt - dadurch auch ihre vielseitige Verwendbarkeit - die meisten können von Männern oder Frauen als quasi persönliche Liebesgedichte "gebraucht" bzw. rezikliert werden, und sie können dann auch an einen Mann oder eine Frau gerichtet werden.
Dass dies nichts Ungewöhnliches war, beweist das den Sonetten angehängte Gedicht A Lover's Complaint. Dort richtet eine verliebte Nonne Sonette (ob sie sie selbst geschrieben hat, wird nicht gesagt) an ihren Liebhaber, einen typischen Frauenhelden und Verführer. Dieser benutzt die Sonette (etwa nach Art von Kellers missbrauchten Liebesbriefen), um sie seinerseits einem von ihm ins Auge gefassten jungen Mädchen zu schicken. Die Reihe scheint dort abzubrechen, denn das enttäuschte - dank der Sonette verführte - Mädchen zerreißt die Briefe zu Beginn des Gedichts.
Auch die dem Kapitel Dark Lady zugeordneten Gedichte handeln nicht alle von einer Frau oder sind eindeutig an eine Frau gerichtet (eindeutig eigentlich nur: 127, 128, 130, 137-139, 142, 143, 151-154). Der Begriff "Sexualität" ist relativ jung; die Interpretation der Freundschafts- und Liebesverhältnisse muss deshalb in dieser Beziehung vorsichtig angegangen werden, was wir heute z.B. in den "Männersonetten" als (homo-)erotisch aufgeladen empfinden, muss es damals nicht wirklich gewesen sein. Anreden wie my love, my friend oder my treasure können mit "Geliebter/Geliebte", "Freund/Freundin" oder "mein Schatz" übersetzt werden, es kann aber auch nur ein kumpelhaftes "mein Lieber"/"meine Liebe" sein - oder irgendetwas dazwischen, so wie love eben "Liebe" oder "Freundschaft" bedeuten kann. Eine auch sexuell mitdeterminierte Liebe zeigt sich dort, wo Amor angerufen wird, wo von Küssen die Rede ist, wo phallische oder vaginale Symbole verwendet werden oder Penis und Vagina explizit auftauchen.
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Anrufe an die Muse: 32, 38, 78, 79, (82), 85, 100, 101, 103, 128
Abwesenheit von der/dem Geliebten: 27, 28, 43, 44, 45, 50, 51, 61, 97, 98, (109?), 113, 114
Verewigung durch Literatur: 15, 18, 32, 54, 55, 59, 60, 63, 65, 74, 81, 100, 101, 104, 107,
ältere Literatur
59, 106?,
Dreiecksbeziehung 35, 40, 41, (vielleicht auch die Serie 117-120); 133, 134, 135, 136, 137, 138, 143, 144, 152,
Eifersucht, Beschimpfung des/der Geliebten 137, 139, 140, 141, 142, 144,
Gegen die Vergänglichkeit: 5, 6, 12, 15, 16, 19, 60, 63, 64, 65, 74, 108, 116, 126
eignes Fremdgehen 109, 110, 111, 117, 118, 119
totale Unterwerfung / mein = dein 35, 49, 89 und 90, 125, 149
Vergänglichkeit der Schönheit 104, 108, 126
Geliebte(r) als Schablone bzw. Urbild von Blumen und Schönheit, vgl: 53, 67, 68, 98, 99
Gedichte an Mäzene: 38, 71, 72, 75, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 86, 105, 117-120?
Kosmetik als Fälschung 53, 67, 68, 82, 83, 101, 127, 146,
Partner will den Sprecher verlassen: 49, 87, 88, 89, 90, 145
Schauspieler und Kritik 111, 112
Schein - Sein (Wolf im Schafspelz): 24, 54, 69, 70, 93, 95, 96
Schein = Sein (äußeres und inneres wertvoll) 79, 82, 83, 101
Schein und Sein, allgemein 121
Schwarz als schön 127, 131, 132,
schriftstellerische Rivalen: 78, 79, 80, 85, 86
(literarisches) Testament 32, 71, 72, 81
Zeit als Sensemann: 12, 19, 60, 63, 74, 116, 126
Zeit kerbt Runzeln 2, 19, 63, 100, 108,
Zeit, sonst: 123,
ältere Dichtung 59, 76, 106, 130,
Repetition des immer gleichen Themas: 76, 105, 108
Klar an einen Mann gerichtet: 19, 20, 26, 41, 42, 53, 55, 57, 58, 63, 67, 68, 101, 124, 126
Klar an eine Frau gerichtet: 127 (handelt von Fr.) 128 (kiss), 130 (3. Person), 137 (Anrufung Amors), 138 (3. Person), 139, 142, 143, 152-154
You-Form: 13-17, 52-55, 57, 58, 71, 72, 75, 76, 80, 81, 83-86, 98, 103, 104, 106, 111-115, 117, 118 und 120.
Die sogenannten procreation sonnets richten sich an einen nicht mehr ganz so jungen, offenbar adligen Mann, der (noch) nicht heiraten will. Die ständige Wiederholung desselben Themas und das ständige Moralisieren wirken auf die Dauer mühsam - wenn nicht die verschiedenen Metaphern und Blickpunkte Abwechslung böten. Wenn diese Sonette alle vom gleichen Autor sind (was nicht unbedingt der Fall sein muss!), so scheint doch das Ich, welches spricht, jeweils ein anderes zu sein, aus einer anderen Perspektive zu sprechen:
1: Aesthet, Moralist, besorgter Freund
2: älterer Mann, der aus Erfahrung bzw. Frustration des Alterns spricht
3: Mutter (oder ein Freund der Mutter)
4: Finanzmann oder Banker
5: Chemiker oder Parfumhersteller
6: dito (Fortsetzung)
7: Philosoph/Astronom. (vgl. auch Sonett 63)
8: Musiker; (zu
Z. 14 "one is no number" vgl. 136.8)
9: Witwe
10: Hausbesitzer (vielleicht aber auch eine Freundin, die sich Hoffnungen macht)
11: Buchdrucker mit Erfahrung in Gartenarbeit
12: Naturfreund, Farmer. (Vgl. auch Sonett 73)
13: Hausbesitzer, entfernter Freund oder sozial tiefer gestellte Person (Anredeform: you, vgl. zu thou/you)
14: entfernter Freund tarnt sich als Hobbyastrologe (Anredeform: you vgl. zu thou/you)
15: Schauspieler / Regisseur / Dramatiker (Anredeform: you vgl. zu thou/you)
16: dito (Fortsetzung vgl. zu thou/you)
17: Dichter (Anredeform: you vgl. zu thou/you)
In Sonett 15 wird vielleicht schon erstmals die Idee aufgenommen, "Unsterblichkeit" nicht durch Nachkommen, sondern durch Literatur zu sichern: ingraft bedeutet zwar "pfropfen" und wäre eine Metapher aus der Landwirtschaft und Gärtnerei, kann aber - wie in Sonett 37 - auch als "einritzen", "eingravieren", "für die Ewigkeit festschreiben" interpretiert werden.
Verewigung durch Literatur: 15, 18, 32, 54, 55, 59, 60, 63, 65, 74, 81, 100
Das wohl berühmteste Sonett überhaupt. Der Adressat - ob Mann oder Frau (vgl. oben) - wird wieder mit dem vertraulichen, persönlicheren thou angesprochen.
Die Thematik von Sonett 18 ("Unsterblichkeit lässt sich im Gedicht erreichen") schließt an die Sonette 15 und 16 an, kommt dann aber noch in vielen anderen Sonetten vor.
Verewigung durch Literatur: 15, 18, 32, 54, 55, 59, 60, 63, 65, 74, 81, 100
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Eindeutig an einen jungen Mann gerichtet: Klage, dass Schönheit der Zeit unterworfen ist, verbunden mit dem "Unsterblichkeitsthema" (vgl. Sonett 15, 18, 32, 54, 55, 59, 60, 63, 65, 74, 81)
Zeit als Sensemann: 12, 19, 60, 63, 74, 116, 126
Der besungene junge Mann wird als androgyner Typus (master mistress) bzw. Hermaphrodit dargestellt. Die sexuelle Seite der Beziehung wird klar betont, das nothing in Z. 13 ist eindeutig eine Vagina (in der Renaissance als "nichts" betrachtet, weil der Penis "fehlt"). Die Natur "betrügt" den Sprecher, indem sie der für ihn bestimmten schönen Frau einen Penis anhängt.
Z. 7 A man in hew all Hews in his controwling: Das großgeschriebene "Hews" hat Oscar Wilde den Anstoß zu seiner schönen Kurzgeschichte "The Portrait of Mr. W. H." gegeben. Aus den Sonetten 135/36 lässt sich der Vorname Will erschließen, "Hewes" oder "Hughes" wäre dann der Geschlechtsname des Adressaten.
Eher ein Stück Literaturkritik als ein Liebesgedicht. Die Metaphern (conceits) in der Dichtung, speziell der Sonettdichtung in der Nachfolge Petrarcas, werden ironisch persifliert (vgl. auch Sonett 130). Wie in Sonett 130 ist die "Liebe", von der die Rede ist, wohl eher eine Frau. (vgl. oben)
Das Sonett zeigt den Sprecher als eindeutig älter als die angesprochene Person, die ein Mann oder ein Frau sein könnte (vgl. oben). Von der story her handelt es sich natürlich um den jungen Aristokraten, aber als Gedicht an eine jüngere Geliebte wäre dieses Sonett auch denkbar. Zur Situation vor dem Spiegel und dem Topos "Ich bin du, du bist ich" vgl. Sonett 62.
Ein schönes Liebesgedicht: Das verliebte Ich scheut sich, seine Liebe zu gestehen. Die angesprochene Person (vgl. oben) soll mit den Augen hören bzw. in seinem Herzen lesen, natürlich aber auch in eben diesem Gedicht.
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Das Bild aus der Malerei bezieht sich auf die in der Renaissance gängigen Spielereien mit der Perspektive, sogenannt anamorphe Bilder (vgl. Holbein, The Ambassadors), die sich nur aus einem ganz bestimmten Blickwinkel richtig sehen lassen. In diesem Falle kann das Bild - eine Art Kupferstich auf dem Herzen - nur mit einem Blick durch des Künstlers Augen in sein Seeleninneres genossen werden.
Andererseits können aber Augen nicht wirklich ins Herz sehen, vgl. Schein - Sein (Wolf im Schafspelz): 24, 54, 69, 70, 93, 95, 96, vor allem Sonett 69 u. 70
Bescheidenheitstopos des Dichters, als glücklich Verliebter muss er nicht Karriere machen.
Dieses Sonett richtet sich eindeutig an einen sozial höher gestellten Mann (vgl. oben). Das Bild einer mittelalterlichen Herr-Vasall-Beziehung muss nicht auf kriecherische Untertänigkeit schließen lassen, es ist eben nur ein Bild, eine Situation, die durchgespielt wird. Ein literarisches Sado-Maso-Spiel, vielleicht.
Ein ähnliches Herr-Knecht-Verhältnis wird auch als Bild in den Sonetten 57 und 58 benutzt.
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Abwesenheit von der/dem Geliebten (vgl. oben) führt zu Schlaflosigkeit - in Sonett 61 auch zu Eifersucht.
Abwesenheit von der/dem Geliebten: 27, 28, 43, 44, 45, 50, 51, 61, 97, 98
Ähnlich wie schon in Sonett 25 zeigt sich der Sprecher als arm, aber glücklich verliebt und deshalb reich. Das Geschlecht des Adressaten ist auch hier egal (vgl. oben).
Im Rückblick stellt der ältere Sprecher fest, dass er einiges falsch gemacht hat in seinem Leben, die Liebe zum Adressaten macht aber alles wett.
Ein makabres Liebessonett: Dass die jetzige Liebe die Summe aller bisherigen Liebesbeziehungen ist, wird dargestellt durch den Vergleich des/der Geliebten mit einer Gruft, in der diese alten ("toten" oder "erkalteten") Lieben aufgebahrt sind.
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Im Vergleich zu den anderen literaturkritischen oder poetologischen Sonetten, in denen ja meistens ein literarischer Ewigkeitsanspruch erhoben wird (vgl. Sonett 15, 18, 54, 55, 59, 60, 63, 65, 74, 76, 81), ist dieses Gedicht sehr bescheiden: Nicht die Form ist wichtig, die wird nämlich veralten, sondern die Liebe zum Adressaten. Während hier der Adressat (oder die Adressatin) den Schreiber aber immerhin noch trotz seiner schlechten Verse in Erinnerung behalten soll, betonen Sonett 71 und 72, dass der Schreiber gerade wegen dieser Verse vergessen werden soll. (Ähnlich selbstkritisch bzw. selbstironisch kommt Sonett 76 daher.)
Die als "dramatischen Ausgangspunkt" gewählte Perspektive ist in allen drei Sonetten etwas makaber: Das Sprecher-Ich in Nr. 32 kommt bereits aus dem Jenseits bzw. aus dem Grab (ähnlich auch in Sonett 32 und 81; in den Sonetten 71 u. 72 ist es sogar schon verwest). Sonett 81 behandelt die gleiche Situation mit einer weitaus höheren literarischen Selbsteinschätzung.
Anrufe an die Muse: 32, 38, 78, 79, 82, 85, 100, 101, 103, 128
Verewigung durch Literatur: 15, 18, 32, 54, 55, 59, 60, 63, 65, 74, 81, 100
suns of the world [Zeile 14]: sun und son sind im Elisabethanischen Englisch homophon (gleichlautend), der Vergleich beinhaltet also auch ein Wortspiel ("Sonne auf der Erde" / "Erdensohn"), ein Wortspiel, das natürlich nur wirkt, wenn das Gedicht an einen Mann gerichtet ist (vgl. oben).
Erste Wolken sind in der Freundschaftsbeziehung aufgetreten.
Vermutlich ist dieses Sonett tatsächlich die Fortsetzung von Sonett 34, zumindest werden dieselben meteorologischen Metaphern gebraucht. Der / die Geliebte (vgl. oben) bedauert mit Tränen seinen / ihren Fehltritt.
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NO more bee greeu'd at that which thou hast done,
Roses haue thornes, and siluer fountaines mud,
Cloudes and eclipses staine both Moone and Sunne,
And loathsome canker liues in sweetest bud.
All men make faults, and euen I in this:
Authorizing thy trespas with compare,
My selfe corrupting saluing thy amisse,
Excusing their sins, more then their sins are:
Zeile 8 wird oft emendiert zu Excusing thy sins more then thy sins are. Die Emendation ist aber syntaktisch nicht besser nachvollziehbar, die Interpretationen und Übersetzungen bleiben verworren. Ich verstehe "their sins" als die Gesamtheit der bisher genannten Verfehlungen oder "Sünden", nämlich den Fehltritt des/der Angesprochenen, aber auch das Unrecht von Dornen, Schlamm, Wolken, astronomischen Vorgängen und Raupe. Die Fehler des Sprechers (nämlich: 1. authorizing thy trespass; 2. my self corrupting; 3. salving thy amiss; 4. excusing their sins) sind schlimmer bzw. wiegen mehr (more) als diese.
Ab Z. 9 wechselt die Szene in den Gerichtssaal, wo der Sprecher gegen sich selbst die Anklage führt, und sich selbst als Helfershelfer des Betrugs überführt.
Wenn das Gedicht in eine Reihe mit 33 und 34 gehört, ließe sich annehmen, der Freund hätte den Sprecher betrogen (gemäß späteren Sonetten sogar mit dessen eigener Freundin, vgl. 40, 41 u. 42), habe dies dann bedauert, und der Sprecher verzeihe ihm jetzt, obwohl er das nicht sollte.
Gut passt das Sonett mit seiner masochistischen Grundhaltung auch zu den Sonetten 49 und 88ff, besonders zu Sonett 89, das auch Metaphern aus dem Gerichtssaal verwendet.
Auch hier sind die Geschlechter nicht eindeutig zugeordnet (vgl. oben). Würde man - was man natürlich nicht darf - das Sonett aus dem elisabethanischen Kontext reißen, könnte das Sprecher-Ich die Maitresse eines wichtigen Mannes sein (etwa die Sekretärin eines verheirateten Fabrikanten oder die geheime Geliebte eines französischen Staatsschefs). Ob der Angesprochene wirklich ein Mann ist? Die sozial hohe Stellung und die Wichtigkeit der Geheimhaltung der Beziehung lässt es aber vermuten.
Der Topos "Ich bin dein, du bist mein" wird auch in den Sonetten 22, 37, 42, 62, (96?) abgewandelt.
Merkwürdig ist, dass das Schlusscouplet genau gleich auch für Sonett 96 gebraucht wird (vgl.Anm. 96). Zu Sonnett 96 passt es weniger gut.
Z.3: So I, made lame by Fortunes dearest spight: Die Stelle ist metaphorisch leicht zu verstehen: "vom Schicksal gelähmt sein" ist auch auf Deutsch ein gängiger Begriff. Für biographische Kritiker ist dies aber ein Zeichen dafür, dass Shakespeare lahm war (vgl. auch 89.3 Speake of my lamenesse, and I straight will halt)
their in Zeile 7 wird von den meisten Herausgebern durch "thy" ersetzt. Die Emendation ist sinnvoll. Die Quarto-Lesart lässt sich aber auch verteidigen:
For whether beauty, birth, or wealth, or wit,
|
Wo Adel, Schönheit, Witz und Reichtum wohnen,
|
Dass die Stellen, wo diese Tugenden rechtmäßig thronen, Körperteile des/der Angesprochenen (vgl. oben) sind, muss man dann allerdings erraten.
Zu Z. 10 substance und shadow vgl. Sonett 53.
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Der deutsche Text müsste bei weiblichen Adressaten in Zeile 8 ("du bist's, der die Erleuchtung selbst erhellt.") minim umgeändert werden: "du bist's, die die Erleuchtung selbst erhellt." Im Englischen ist, wie bei fast allen Sonetten, das Geschlecht des Adressaten aus den Pronomen nicht zu erkennen. Sonett 38 ist ein ziemlich eindeutiges und durchschaubares, aber wohl auch erfolgversprechendes "Widmungsgedicht", das ein brotloser Dichter (oder Dichterin) an alle möglichen Leute beiderlei Geschlechts richten kann. (vgl. oben)
Anrufe an die Muse: 32, 38, 78, 79, 82, 85, 100, 101, 103, 128
Wie in Sonett 36 wird von einer Trennung gesprochen, die Situation ist aber nicht dieselbe. Dort ist die Trennung gesellschaftlich bedingt und die Beziehung muss geheim gehalten werden, hier leben die Partner zusammen, und die Trennung ist nur ein poetischer Trick, ein conceit: Da wir eins sind, sollten wir uns trennen, damit ich dich anständig loben kann.
Wenn die Sonette einen "plot" hätten, müsste man dieses Sonett aber doch auch im Zusammenhang mit Sonett 36 als Selbsttröstung des Verlierers, der "Maitressenfigur", lesen.
Kerrigans Emendation von "he" zu "she" in 41.8 versteht sich von selbst, eine andere Geschlechteraufteilung (vgl. oben) ist nicht möglich (höchstens in Sonett 40).
Eine dramatische (vielleicht sogar biographische?) Dreiecksbeziehung: Der beste Freund betrügt das Sprecher-Ich mit dessen Freundin.
Die gleiche - oder eine ähnliche - Dreiecksgeschichte kommt auch in den Sonetten an die Dark Lady (133-152) zu Sprache, vor allem in 144. Vgl. auch 33-35.
40.9 gentle thief: gentle kann auch als Hinweis auf den adligen Stand des Diebes gelesen werden - die Fügung ist aber primär einfach im selben Sinne wie sweet thief gemeint (vgl. Sonett 35 und 99).
Zum Schlusscouplet vgl. Sonette 88ff, speziell Sonett 89.
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Die Bildersprache ist dieselbe wie in den Sonetten 27 und 28 (Schlaflosigkeit), nur scheint hier die Situation etwas anders. In 27 und 28 ist offenbar der Sprecher verreist - die Sonette also quasi Postkarten aus der Fremde -, hier geht es eher darum, dass der/die Angebetete (vgl. oben) sich wieder einmal zeigen sollte. Möglicherweise dreht sich auch Sonett 52 beschönigend um dieses Thema, mit Sicherheit Sonette 57 u. 58. In Sonett 61 wird dieselbe Situation zum Ausdruck von Eifersucht.
Abwesenheit von der/dem Geliebten: 27, 28, 43, 44, 45, 50, 51, 61, 97, 98
Eine vorweggenommene Mischung aus "Wenn ich ein Vöglein wär" und "Va, pensiero". "Schwere Tränen" (Z. 14) sind die Trauerabzeichen der Elemente Wasser und Erde, weil sie - wie der Sprecher selbst - aus beiden bestehen - Flüssigkeit (Wasser) und Schwere (Erde). Diese scheinbar moderne biologische Auffassung beruht auf der mittelalterlichen Säftelehre, gemäss der der Mensch aber aus vier Elementen besteht (vgl. Sonett 45).
Auch hier bleibt das Geschlecht des Adressaten unbestimmt - das he in Z. 8 ist der personifizierte (männliche) Gedanke. (vgl. oben)
Abwesenheit von der/dem Geliebten: 27, 28, 43, 44, 45, 50, 51, 61, 97, 98
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Die Fortsetzung von 44, die die Metapher der vier Elemente weiter spinnt, jetzt aber - getreu der Säftelehre - den Menschen als eine Zusammensetzung der vier Elemente beschreibt. Schwermut (Melancholie) kommt durch das Fehlen der zwei "leichten" Elemente zustande.
their (Z. 12) ist wohl eindeutig ein Druckfehler für thy; notfalls ließe sich die Stelle aber retten, indem man annimmt, dass Feuer und Luft des Sprechers (seine Gedanken und seine Liebe) nun schon ganz Teil des (männlichen oder weiblichen) Adressaten seien: Ihre Gesundheit ist also seine. (vgl. oben)
Abwesenheit von der/dem Geliebten: 27, 28, 43, 44, 45, 50, 51, 61, 97, 98
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their in Z. 8, 13, 14 ist eindeutig ein im Original häufiger Druckfehler für thy; side (Z. 9) ist etwas komplizierter: Man könnte es als Kurzform für decide lesen (das Gericht soll über den Anspruch der beiden Streitenden entscheiden), aber auch als "sich auf eine Seite schlagen" - das Gericht ist ja keineswegs neutral, obwohl das Urteil dann doch ausgewogen ausfällt.
Streitfälle zwischen Körperteilen sind in der Renaissance beliebt, man denke etwa an die Fabel des Menenius Agrippa in Troilus and Cressida!
Das Sonett bildet die Fortsetzung zum vorhergehenden. Die Streithähne Auge und Herz haben sich versöhnt und laben sich (kannibalisch) abwechselnd am Gedanken an die geliebte Person und an deren Bild.
Anzeichen von Eifersucht beim Sprecher: Das Ich hat Angst, der / die Geliebte könnte es in seiner Abwesenheit betrügen. Vgl. 33-35, 40-42.
Das Sonett besteht aus einem einzigen Satz, bemüht aber eine ganze Reihe von Bildern: Geldspiel (cast, Z.4), Buchhaltung (sum, audit, Z. 4f), Auge als Sonne (Z.6), Militär (ensconce, uprear), Recht (Z. 11-13). Zum Teil vermischen und verwischen sich die Metaphern, besonders in Z. 10 this hand against myself uprear: Die Hand wird einerseits wie beim Kampf erhoben (allerdings erhebt sie der Sprecher gegen sich selbst), andererseits wird sie auch zum Schwur vor Gericht erhoben.
Das letzte Quartett scheint unlogisch, da die in Z. 9-10 angekündigte Selbstverteidigung gar nicht stattfindet, die Hand wird eben gegen den Sprecher selbst erhoben. Der Widerspruch lässt sich nur lösen, wenn man an die in anderen Sonetten immer wieder gemachte Gleichsetzung von ich und du denkt (Vgl. 22, 31, 35, 36, 37, 42 usw.): Wenn Partner und Sprecher - ich und du - eins sind, muss der Sprecher immer die Seite des Partners ergreifen, auch dann noch, wenn dieser gegen ihn selbst Anklage erheben sollte. Diese paradoxe Situation, die hier ja nur als Möglichkeit in Betracht gezogen wird (if euer that time come) wird in den Sonetten 88ff dann "Wirklichkeit".
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Die zwei Sonette behandeln dasselbe Thema: Der Sprecher ist allein auf einer Reise (wie in den - vielleicht dieselbe Reise beschreibenden - Sonetten 27 und 28). Tiere sind in den Sonetten selten, hier wird ein "mitfühlender Gaul" beschrieben, dessen Langsamkeit auf der Wegreise erwünscht, für die Rückreise aber nicht mehr akzeptierbar ist.
excuse hat in Sonett 51 mehrere Bedeutungen: in Z. 1 geht es darum, das Tempo des Gauls zu entschuldigen - was ja schon in Sonett 50 geschehen ist. In Z. 5 ist es die Ausrede, die der Gaul für die von ihm zu erwartende Langsamkeit auf der Heimreise finden muss, in Z. 12 ist "Ersatz" gemeint - Liebe und Verlangen ersetzen das langsame Tier.
Doppeldeutigkeiten und sprachliche Schwierigkeiten machen den Schluss des Sonetts kompliziert:
Z. 9/10: Therefore desire (of perfects loue being made) / Shall naigh, noe dull flesh in his fiery race: Die Form perfects ist wohl eine fehlerhafte Schreibweise eines (grammatisch fragwürdigen) Superlativs: perfectest - das Verlangen ist aus "perfektester Liebe gemacht". Auf diesem Verlangen wird der Sprecher reiten (wobei es dann auch fröhlich "wiehern" wird). noe dull flesh in Z. 10 gehört eigentlich zur Klammer in Z. 9: Das Verlangen ist nicht wie der Gaul aus "trägem Fleisch", es ist also kein "fleischliches Verlangen", sondern eben eines, das aus "rein spiritueller" (bzw. "perfektester") Liebe besteht. his fiery race lässt zuerst an eine "feurige Rasse" denken, gemeint ist aber eher ein "feuriger Galopp".
Interessant ist auch die Doppeldeutigkeit des Schlusses: and giue him leaue to goe. könnte missverstanden werden als "ich gebe ihm die Zügel frei", "ich lasse ihm freien Lauf" - dass der Gaul auch auf der Rückreise mitfühlend (und deshalb nun unheimlich schnell) sein wird, nimmt aber auch der Sprecher nicht an. Das Tier wird nun einfach sich selbst überlassen, der Sprecher braucht ihn nicht mehr und "gibt ihm die Erlaubnis zu gehen".
Abwesenheit von der/dem Geliebten: 27, 28, 43, 44, 45, 50, 51, 61, 97, 98
Die eher distanzierte Anredform you (statt thou) ist hier auffällig, da der/die Angesprochene (vgl. oben) ja gleichzeitig auch als persönliches Besitztum des Sprechers dargestellt wird. (vgl. zu thou/you)
Vielleicht deutet you auf eine gewisse Distanzierung oder Entfremdung in der Beziehung hin, denn das Sonett beschönigt Probleme in einer Liebesbeziehung. Möglich sind dabei zwei Interpretationen, die beide auch in anderen Sonetten angelegt sind: Vielleicht ist der Sprecher seines Partners bereits ein bisschen überdrüssig, und das Sonett soll diesen Wunsch, sich weniger häufig zu sehen (wie der Reiche das mit seinem Schatze tut) zum Ausdruck bringen, damit der "Reiz des Neuen" nicht der Gewohnheit und dem Überdruss weicht (vgl. Sonett 118, ebenfalls mit you). Vielleicht beschönigt der Sprecher aber auch das Verhalten seines Partners, der sich weniger häufig blicken lässt (ähnlich wie in Sonett 43, wo der Partner aber mit thou angesprochen wird; vgl. auch 57 u. 58). Eine ähnliche Situation ist wohl auch die Grundlage für Sonett 56.
Für Freunde der Du-Form:
Wer bist du bloß, was macht dich so wie keinen,
lässt dich Millionen fremde Schatten sein?
Da jeder einzeln, hat er doch nur einen,
doch du, allein, du kannst dich jedem leih'n:
Die Beschreibung des Adonis wird sogleich
als blasse Nachahmung von dir erkannt.
Malt man Helenens Wange künstlich reich,
bist's wieder du, in griechischem Gewand.
Spricht man vom Frühling und vom Herbst im Jahr,
zeigt Frühling deiner Schönheit Schatten nur,
der Herbst erscheint mit deinem Füllhorn gar,
du bist in jedem Segen der Natur,
in jeder äußern Anmut bist du reichlich,
doch macht dein treues Herz dich unvergleichlich.
Die Anredeform you ist auch hier auffällig (vgl. zu thou/you), sie soll vielleicht Ehrfurcht zum Ausdruck bringen.
Die Gegenübersetzung Substanz-Schatten (innerer Wert - äußere Schönheit) erinnert an Sonett 37, Z. 10 (this shadow doth such substance giue), die Argumentation ist aber hier eine andere. Dort bezieht der Sprecher aus dem "Schatten" des andern "Substanz" für sich, hier geht es nur darum hyperbolisch die äußere Schönheit und den innern Wert des Adressaten zu loben. Äußerlich ist dieser Adressat der Inbegriff des Schönen (schöner als Adonis, Helene, Frühling und Herbst), innerlich aber noch wertvoller als alle Beispiele, da er über ein treues Herz verfügt.
Geliebte(r) als Schablone bzw. Urbild von Blumen und Schönheit, vgl: 53, 67, 68, 98
Auch dieses Sonett könnte an eine Frau oder einen Mann gerichtet sein (vgl. oben): Der Vergleich mit Adonis und Helena lässt keine eindeutige Geschlechtszuordnung zu, das Sonett kann sich sogar an ein drittes Geschlecht wenden, den Hermaphroditen bzw. die master mistress aus Sonett 20 (Anm. Sonett 20).
Z.2: That millions of strange shaddowes on you tend: Die deutsche Übersetzung ist hier sehr frei, will aber die eigentliche Aussage verdeutlichen.
tend bzw. attend heißt "aufwarten", "begleiten", "zur Verfügung stehen" (als Diener), also:"dass Millionen fremde Schatten Euch zur Verfügung stehen", tend heißt aber auch "tendieren", "sich richten auf" (vgl. His affections do not that way tend, Hamlet III.1, 170), der Satz also dann "dass Millionen fremde Schatten sich nach Euch richten / von Euch abhängig sind."
Die Aussage wäre also: Das Äußere (der Schatten) von Millionen ist von Euch ("Eurer Substanz"?) abhängig und dient Euch als Schatten. Wer dabei nun verleiht und wer entleiht wird unklar: Ist der Angesprochene "borrower" oder "lender"? Borgt er sich alle diese Schatten, oder verleiht er seinen Schatten an Millionen?
Der weitere Verlauf des Arguments macht klar, dass er die Substanz ist, alle äußeren Erscheinungsformen nur ein Abglanz der seinen.
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Die Anredeform ist auch in diesem Sonett you (vgl. zu thou/you)
canker bloom: Die Hundsrose, eine Art Heckenrose, offenbar ohne Geruch. Canker ist aber auch ein Wurm, der häufig als Parasit bei Rosen erwähnt wird (vgl. 35, 99)
Das Aufbewahren des Geruchs in einem Parfum wird auch in den procreation sonnets (Nr. 5 und 6) als Bild verwendet. Dort enstpricht die Essenz, die im Winter wieder hervor geholt werden kann, der geforderten Nachkommenschaft, hier ist sie das Gedicht.
Das Schlusscouplet führt zum Thema Vergänglichkeit / Ewigkeit in der Dichtung.
vgl. Verewigung durch Literatur: 15, 18, 32, 54, 55, 59, 60, 63, 65, 74, 81, 100
vgl. Schein - Sein (Wolf im Schafspelz): 24, 54, 69, 70, 93, 95, 96
Drafi Deutschers "Marmor, Stein und Eisen bricht" einmal anders: nicht "unsere Liebe", wohl aber deren literarische Umsetzung hält ewig. Die Thematik von Sonett 18 ("Unsterblichkeit lässt sich im Gedicht erreichen"), die auch in vielen anderen Sonetten vorkommt (vgl. Sonett 15, 18, 32, 54, 59, 60, 63, 65, 74, 81)
Ob dieses Gedicht aber wirklich als ein Liebesgedicht gedacht ist oder "nur" als distanzierteres Widmungsgedicht, ist nicht so klar - die you-Form muss nicht unbedingt Distanziertheit bedeuten (vgl. zu thou/you). Die letzten Worte "dwell in lovers eyes" lassen sich auf zwei Arten interpretieren, da die Vorlage Q kein Apostroph kennt: in lover's eyes wäre "in den Augen des Liebenden" (d.h. vermutlich des Sprechers), in lovers' eyes hieße "in den [dies lesenden - diesen Schrein sehenden] Augen jener, die Euch lieben". (vgl. oben)
Verewigung durch Literatur: 15, 18, 32, 54, 55, 59, 60, 63, 65, 74, 81, 100
Die in Sonett 52 sich ankündigende Erkaltung der Liebe ist offenbar fortgeschritten, wenn man die Sonette als fortlaufende Liebesgeschichte psychologisierend liest. Auch hier wird beschönigt und gehofft: Der Sprecher möchte, dass die Liebe nicht abstumpft, sondern sich so verhält wie der Hunger, täglich neu geweckt wird.
Z. 13: As call it Winter bezieht sich auf das "Interim" in Z. 9: Die Schlafphase des Liebestriebs soll sein wie der Ozean - oder eben wie der Winter, auf den der Sommer folgt.
Sonette 57 und 58 behandeln dasselbe Thema auf dieselbe Art: Die Beziehung wird als ein Herr-Knecht (oder Herr-Sklave)-Verhältnis dargestellt. Der eine Partner lässt sich zu wenig häufig und offenbar auch nicht zur abgemachten Zeit blicken. Es geht hier eindeutig um eine homoerotische Freundschaftsbeziehung, obwohl man sich in modernerer Zeit auch die beiden Gedichte als Klage einer vernachlässigten bürgerlichen Ehefrau vorstellen könnte, wobei das männliche Personal nur durch das gewählte Bild von Herrn und Knecht metaphorisch vorgegeben wäre.
Die you-Form ist in der Situation "Sklave spricht zu seinem Herrn" natürlich zwingend. In Sonett 26, wo auch die Beziehung Vasall und Herr durchgespielt wird, wird zwar die thee-Form verwendet, dort liegt dem Bild aber eine feudale, mittelalterliche Struktur zugrunde.
Dass der Partner sich häufiger blicken lassen sollte, ist auch das Thema der Sonett 43 und 52.
Zu
57
Sonett 57 ist in seiner Anklage milder als Sonett 58, die Ironie ist aber doch auch hier sehr eindeutig.
57.5: Nor dare I chide the world without end houre: "Welt-ohne-Ende-Stunde"
57.13 Das im Original groß geschriebene Will sieht fast wie eine Signatur aus - ein Wortspiel (wie in den Sonetten 135 u. 136) ist aber damit nicht verbunden.
Zu 58
Sonett 58 ist bösartiger in seiner Ironie und zudem reicher an Metaphern aus verschiedensten Gebieten, ins Herr-Knecht-Thema eingebettet werden: Religion (Gott Amor, Hölle), Buchhaltung (Kontrolle, Rechenschaft über Stunden), Gefängnis, Recht (priviledge, charter, pardon, crime)
58.1: Der angerufene Gott ist natürlich Amor.
58.4: Zu Vasall vgl. Sonett 26
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Ein Lobpreis der Schönheit des Adressaten, ob dieser ein Mann oder eine Frau ist, ist nicht auszumachen (vgl. oben). Die Thematik ähnelt Sonett 53, wo antike Schönheiten beiderlei Geschlechts (Adonis, Helena) als weniger schön als der Adressat bezeichnet werden.
Indirekt geht es natürlich auch wieder um die Ewigkeit der Dichtung, diesmal aber nicht zukunftsgerichtet, sondern rückblickend in die Vergangenheit. (vgl. auch 76 und 106)
Verewigung durch Literatur: 15, 18, 32, 54, 55, 59, 60, 63, 65, 74, 81, 100
Eine Klage über die Vergänglichkeit der Zeit, verbunden mit der Hoffnung, dass das literarische Werk die Zeit übersteht.
Verewigung durch Literatur: 15, 18, 32, 54, 55, 59, 60, 63, 65, 74, 81, 100 .
Z. 1: Leider ist in der deutschen Übersetzung aus metrischen Gründen kein Platz für den "Kiesel" geblieben - denken wir uns ein einfach noch ein Wiesel an den Strand. (Ich hab den Kiesel dafür als Juwel in Nr. 96 eingefügt)
Zeit als Sensemann: 12, 19, 60, 63, 74, 116, 126
Schlaflosigkeit als Liebesbeweis findet sich auch in Sonett 27, 28 und 43. Nur hier ist die Liebeserklärung expressis verbis mit Eifersucht verknüpft.
Abwesenheit von der/dem Geliebten: 27, 28, 43, 44, 45, 50, 51, 61, 97, 98
Ein sehr witziges Gedicht, das den Topos "ich bin dein, du bist mein" bzw. "ich bin du, du bist ich" (vgl. 22, 31, 36, 37, 42, 62) zu einer ironischen Beschreibung der eigenen Schönheit abwandelt. Die Situation - der Sprecher vor dem Spiegel - ist ähnlich wie in Sonett 22.
Das Gedicht beginnt metrisch unregelmässig - ähnlich wie Sonett 66.
Der Topos "Vergänglichkeit der Schönheit", verbunden mit "Verewigung in Literatur", vgl. 15, 18, 32, 54, 55, 59, 60, 63, 65, 74, 81, 100
Das Sonett ist eindeutig an einen Mann gerichtet (vgl. oben).
Z. 4-5 ist quasi eine Zusammenfassung von Sonett 7
Z. 8: Stealing away the treasures of his spring: Die Diebe und der Schatz sind die beauties aus Z. 6, die "Schönheiten" stehlen sich also selbst, sie stehlen sich weg.
Es ist anzunehmen, dass die beiden Sonette zusammen gehören; dann gehören sie natürlich auch in die Serie von Sonetten, die - wie auch schon das thematisch ähnliche Nr. 63 - erst die Vergänglichkeit beklagen, dann aber als Trost Verewigung in der Literatur anbieten (Verewigung durch Literatur: 15, 18, 32, 54, 55, 59, 60, 63, 65, 74, 81, 100)
64
Für sich allein betrachtet bleibt Sonett 64 ohne "happy end": Das barocke Vanitas-Thema beherrscht das Sonett, alles ist vergänglich, auch mein Freund (bzw. meine Freundin, vgl. oben) wird sterben müssen. Ein dreimaliges "When I" (und ein viertes "when ... I" als Variation in Z. 3) gliedert das Gedicht, dessen Hauptteil (Z.1-12) so nur aus einem Satz besteht. Das Gedicht endet dann in Tränen.
65
Mit Erz, Fels, Meer und Küste werden die Themen des 1. Quartetts von Sonett 64 wieder aufgenommen. Darauf folgen "neue" Bilder für die Vergänglichkeit (Blumen, Jahreszeiten), die aber aus anderen Sonetten bekannt sind. Wie in Sonett 63 bildet Druckerschwärze dann den tröstlichen Schluss: Ewigkeit auf Papier ist gewissermaßen schwarz auf weiß gewährleistet.
Unsterblichkeitsthema: vgl. Sonett 15, 18, 32, 54, 55, 59, 60, 63, 74, 81
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Das "politischste" der Sonette prangert soziale Ungerechtigkeiten an, der Sprecher äußert Selbstmordgedanken, die an Hamlets Monologe und Timons Flüche erinnern. Der Selbstmord wird wegen des/der Geliebten (vgl. oben) aber dann verworfen. So echt die Weltverdrossenheit auch tönen mag, handelt es sich wohl einfach nur um ein weiteres conceit, eine virtuose weitere Version, Liebe zu zeigen.
Die gegen das jambische Metrum laufenden ersten zwei Versfüße Tyr'd with all these (tyr'd ist einsilbig) lassen das Gedicht wie mit vier Paukenschlägen beginnen, jede Silbe ist betont.
Wie auch das folgende (und dazu gehörende) Sonett 68 preist dieses die Schönheit eines Mannes (vgl. oben).
Das erste Quartett ließe sich auch bösartiger lesen:
AH wherefore with infection should he liue, And with his presence grace impietie, That sinne by him aduantage should atchiue, And lace it selfe with his societie? |
Warum muss er ein Lasterleben führen, und Charme verleihn der Glaubenslosigkeit? Nur Sünde kann von ihm so profitieren, indem sie ihn als ihren Schmuck vorzeigt. |
Die folgenden Zeilen machen aber klar, dass - für einmal - nicht die Lasterhaftigkeit (das Fremdgehen) des jungen Mannes gemeint ist, sondern die "lasterhafte" Zeit, in der man sich künstlich schön macht (schminkt und Perücken trägt), während der besungene Mann von Natur aus schön ist.
vgl. auch 68 und 130
Geliebte(r) als Schablone bzw. Urbild von Blumen und Schönheit, vgl: 53, 67, 68, 98
Kritik am Schminken: 67,
Mit thus schließt das Sonett direkt an das vorhergende Sonett an. In beiden Sonetten werden Auswüchse der Kosmetikindustrie und -anwendung gegeißelt. Ging es in Nr. 67 um das Schminken, wird nun das Tragen von Perücken als "unnatürlich" dargestellt. (Perücken wurden aus dem Haar von Toten hergestellt, blonde Perücken waren besonders beliebt.)
Z. 3 borne bedeutet zu Shakespeares Zeit sowohl "getragen" wie auch "geboren" - beide Bedeutungen sind hier gleich wichtig.
Geliebte(r) als Schablone bzw. Urbild von Blumen und Schönheit, vgl: 53, 67, 68, 98
vgl. auch 67 u. 130!
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Ein ziemlich böses Sonett, das den Adressaten (Mann oder Frau, vgl. oben) zwar als schön lobt, ihm auch innere Werte zuspricht, aber betont, dass er diesen nicht nachlebt. Erst das folgende Sonett bügelt die Beleidigung wieder aus.
Zu Z. 8 By seeing farther then the eye hath showne: Weiter zu schauen als man sehen kann, ist nicht möglich. Dass man nicht wirklich ins Herz sieht, hat sich schon in Sonett 24 als Schluss ergeben. Die "Zungen" machen hier einen Fehler, vgl. Anm. zum folgenden Sonett.
Zum Schlusscouplet:
But why thy odor matcheth not thy show,
The solye is this, that thou doest common grow.
solye ist ein Druckfehler im Original, Kerrigan schlägt das naheliegende soil (soyle) vor ("Boden", "Grund"). Im Deutschen ergibt sich mit "Grund" ein Wortspiel, das im Englischen nicht möglich ist - es geht nicht um einen kausalen Grund, sondern nur um die Pflanzenerde. Aber auch im Englischen ist die letzte Zeile ein komplexes Wortspiel: soil kann auch "Makel" bedeuten oder, als Kurzform von assoil: "Lösung". common grow "gemein wachsen" oder "gemein werden" hat etwa dieselbe Bedeutungspalette wie im Deutschen. Der Adressat wird hier metaphorisch als Pflanze dargestellt. Sein Unkrautgeruch ist auf den Nährboden (soil) zurück zu führen, auf dem er wächst. Er wächst dort als "gemeines Unkraut", er wird dort (z.B. durch die Gesellschaft, mit der er sich umgibt) entweder selbst "gemein" ("gewöhnlich" oder gar "fies") oder er wird zum Opfer dieser Gemeinheiten , und dies ist nun sein "Makel" (soil) oder die "Lösung" für das Rätsel, weshalb eine schöne Blume wie Unkraut riecht. (vgl. die Lilie in Sonett 94)
Ein ähnliches Thema wird in den Sonetten 93 und 95 behandelt.
vgl. Schein - Sein (Wolf im Schafspelz): 24, 54, 69, 70, 93, 95, 96
Das Sonett könnte durchaus auch für sich selbst stehen, scheint aber doch direkt an 69 anzuschließen. Jedenfalls nimmt es alle Vorwürfe, die in Sonett 69 so direkt gemacht werden, wieder auf überzeugende Weise zurück. Der (oder die?) Angesprochene, der durch die klaren Worte in Sonett 69 mit Sicherheit erbost sein muss, wird hier wieder besänftigt. Die Vorwürfe sind alle nicht wahr, es ist nur Neid, der verleumderisch aus bösen Zungen spricht. Schließlich haben diese Zungen in Sonett 69 ja auch einen Fehler begangen, sie haben Dinge sehen wollen, die sie gar nicht sehen konnten (Z. 8: By seeing farther then the eye hath showne)
vgl. Schein - Sein (Wolf im Schafspelz): 24, 54, 69, 70, 93, 95, 96
Ein Sonett aus dem Jenseits, eine Art Testament - ähnlich wie die Sonette 32 und 81. (vgl. 32, 72, 74, 81)
Die letzte Zeile And mock you with me after I am gone ist doppeldeutig: Es kann heißen, dass der Sprecher sich zusammen mit der Welt über die Trauer des Partners oder Mäzens lustig machen könnte, aber es heißt auch, dass die Welt sich über ihn und seinen Partner oder Mäzen (oder seine Partnerin / Mäzenin, vgl. oben) lustig machen könnte. Sonett 72 erklärt - als Fortsetzung - die Schlusszeile näher.
Als "testamentarische Liebeserklärung" gelesen, wirkt das Sonett sehr intim, trotzdem wird die you-Form benutzt. Natürlich ist - ähnlich wie in den Herr-Knecht Sonetten 57 und 58, die ja auch diese Form benutzen, oder im "Selbstmörder"-Sonett 66 - die dramatische Situation nicht so ernst zu nehmen, sie ist weniger persönlich zu verstehen als heutige Leser, die durch romantische Erlebnislyrik geprägt sind, das meinen, sie ist nichts als ein virtuoses Verkleidungsspiel, ein conceit : Eine Liebeserklärungs-Variante, in der der Sprecher tot bzw. schon zu Staub aufgelöst ist, und in der dieser Staub erst noch darum bittet, vergessen zu werden. Was lässt sich Extremeres noch denken, das trotzdem noch wirkt? (Bestenfalls noch die umgekehrte Version, in der der Adressat im Grabe liegt als Blumendünger: vgl. Sonett 99) Dass Staub im Gespräch mit einem lebenden Menschen die Höflichkeitsform you benutzt, vor allem wenn dieser Staub dann noch um Distanziertheit bis zum Vergessen bittet, ist also normal. Trotzdem, zum Trost für Liebhaber des Persönlicheren:
Variante in Du (r):
Bin ich einst tot, sollst du nicht länger trauern
als bis zum finstern, düstern Glockentone,
der mitteilt, dass ich - ohn' es zu bedauern -
die Welt verließ und nun mit Würmern wohne.
Wenn du dies liest, lies kein Erinnern rein,
an den, der's schrieb. Ich liebe dich so sehr,
ich möcht' in deinem Traum vergessen sein,
wenn an mich denken für dich schmerzvoll wär'.
Schaust du jetzt grad auf diese Zeilen nieder,
bin ich wohl Staub geworden und verweht.
Dann nenn' nicht einmal meinen Namen wieder,
damit mit mir auch deine Lieb vergeht.
Denn fänd' die Welt den Trauergrund heraus,
sie lachte dich mit mir zusammen aus.
NB: Christina Rossetti's Sonett Remember Me ist eine romantisierende Modernisierung dieses Gedichts:
Remember
Remember me when I am gone away,
Gone far away into the silent land;
When you can no more hold me by the hand,
Nor I half turn to go yet turning stay.
Remember me when no more, day by day,
You tell me of our future that you plann’d:
Only remember me; you understand
It will be late to counsel then or pray.
Yet if you should forget me for a while
And afterwards remember, do not grieve:
For if the darkness and corruption leave
A vestige of the thoughts that once I had,
Better by far you should forget and smile
Than that you should remember and be sad.
Das Sonett, das durchaus auch alleine stehen kann, schließt an Nr. 71 an und ist - wie dieses - in der you-Form. Es nennt nun den Grund, weshalb der Adressat (weiblich oder männlich vgl. oben) den Sprecher vergessen soll, sind seine schlechten (bzw. wertlosen) Verse. In Sonett 32 werden zwar die Verse als schlecht bezeichnet, aber die Erinnerung sollte trotzdem erhalten werden. In den Sonetten 74 und 81 ist der Sprecher vom Wert des eigenen Werks überzeugt.
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Anklänge an Sonett 12 (bzw. an Ovid).
Die Stimme kommt nun nicht mehr (wie bei 71/72) aus dem Grabe, sondern bloß aus dem Totenbett. Ein Sonett über Vergänglichkeit und Liebe: Das Sprecher-Ich ist älter als die angesprochene, geliebte Person.
Ein weiteres Sonett aus der "Testaments-Serie", das deshalb nicht unmittelbar zu Sonett 73 gehört. Kerrigan meint dies zwar, der Ton ist aber nicht so ernst (Polizeigewalt, Leiche als Würmerfraß, das this- und that-Spiel des Schlusscouplets), die testamentarische Verfügung von sehr kleinem Umfang, eine Nichtigkeit (vgl. Nr. 72): Wörtlich ist es bloß die Zeile 3 ( My life hath in this line some interest), die vermacht wird, metaphorisch eher nur dieses Gedicht als die ganze Sammlung (das Schlusscouplet betont ja mit seinen deiktischen this und that, dass es nur um gerade "dieses hier" geht).
Weitere Sonette aus dieser Serie sind:
32, 71, 72, 81
Zeit als Sensemann: 12, 19, 60, 63, 74, 116, 126
Das Sonett behandelt auch das Thema "Unsterblichkeit durch Literatur", anders als in den anderen Sonetten dieser Kategorie ist es hier aber der Sprecher selbst, der so seinen Tod überlebt.
Verewigung durch Literatur: 15, 18, 32, 54, 55, 59, 60, 63, 65, 74, 81, 100
Z.11 The coward conquest of a wretches knife "der feige Gewinn des Messers eines Bösewichts" - gemeint ist die Zeit mit ihrer Sense bzw. eine Personifikation des Alter(n)s, das zum Tode führt: knife kommt in dieser Bedeutung auch in Sonett 63.10 vor: confounding Ages cruell knife
Nicht nur wegen der you-Form wohl eher ein Widmungsgedicht an einen (älteren!) Mäzen (oder eine Mäzenin? vgl. oben) als ein Liebesgedicht.
Z. 3 And for the peace of you I hold such strife : Kerrigan meint, hier sei die inhaltliche Klarheit auf Kosten des Chiasmus (peace-strife; I-you) geopfert worden. Der peace of you, der "Friede, den ich bei Euch finde", lässt sich aber auch leicht als eine Art Pfründe, als ein sicherer Hafen, als ein Sich-beruhigt-zurücklehnen-Können verstehen - es ist einem (armen) Künstler doch schon wohler, wenn er weiß, er wird bezahlt werden... Um so eine Stellung kann man sich leicht verschiedene Künstler im Streit, Wettstreit oder Kampf vorstellen.
Das Alter, das in Z. 6 diesen "Schatz" stehlen könnte, ist eher das Alter des Adressaten als das des Sprechers.
Ein "poetologisches" Sonett, in dem es auf den ersten Blick um Selbstkritik geht. Diese Kritik ist aber so wenig ernst zu nehmen wie die Selbstmordgedanken in Sonett 66 oder die vielen "Testamente" - oder die ähnliche Selbstkritik in Sonett 32. Das Sonett ist ironisch, widerspricht sich zum Teil sogar selbst, zum Beispiel mit der Kleidermetaphorik in Z. 7 und in Z. 11: noted weed in Z. 7 ist ein altes Kleid, der Dichter sagt also, dass er neue Sachverhalte in alte, abgedroschene Sprache packe - in Z. 11 (my best is dressing old words new) werden umgekehrt alte Wörter "neu eingekleidet". Für compounds strange (Z.4), für gewagte, neue Wortzusammensetzungen, ist Shakespeare geradezu berühmt, und was die Variationen im Argument anbelangt - dazu geben die Sonette selbst das Gegenbeispiel ab. Es geht also keineswegs um Selbstkritik, Shakespeare ist selbst ein "Moderner" in seiner Zeit. Das "dramatische conceit" will nur zum Ausdruck bringen: "Ich kann nichts als immer wieder sagen, dass ich dich liebe." Liebe ist immer tautologisch.
Die Heftigkeit der Liebeserklärung wird durch die you-Form allerdings wieder gemindert.
In den Sonetten 82, 83, ... wird dagegen der eigene, "realistischere" Stil, die "einfache Sprache" verteidigt gegen die petrarkische Metaphernwut.
vgl. zu älterer Dichtung auch 59 und 106
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Das Sonett begleitet offenbar ein Geschenk - auf jeden Fall ein Notizbuch (vgl. Sonett 122), vielleicht auch noch einen Spiegel und eine (Sonnen-)Uhr. Der sehr erzieherische Ton lässt auf einen sehr jungen Empfänger schließen.
Auch in Sonett 104 zeigt sich der Uhrenzeiger als Dieb, der von seiner Zeitmenge unmerklich wegfrisst.
Die ersten einer Reihe von Sonetten, die von einem oder mehreren Rivalen handeln. (78, 79, 80, 85, 86)
Hier wird noch von mehreren geredet, die alle gebildeter sind als der Schreiber. Es gibt mehrere Vermutungen, wer diese Dichter sein könnten (z.B. Marlowe oder Jonson). Tatsächlich galt Shakespeare als ungebildet, man kann sich also gut vorstellen, dass diese Gedichte einer biographischen Situation entsprechen, und dass Shakespeares eigenes Minderwertigkeitsgefühl zum Ausdruck kommt - wie auch sein Wille, seinen eigenen Platz zu verteidigen.
Gerade die beiden Sonette 78 und 79 könnten aber auch einfach nur wieder eine weitere erfundene Situation darstellen - einen Mäzen mit thou anzureden, ist eher ungewöhnlich (vgl. you-Form), den Geliebten (oder die Geliebte) als Mäzen und einzigen Inhalt des eigenen Werks zu bezeichnen, kann also bloß ein weiteres Rollenspiel zwischen Liebenden sein, "Mäzen und Dichter" statt "Herr und Vasall" (Sonett 26), "Herr und Sklave" (vgl. 57, 58) oder "gestorben und lebend" (vgl. 32, 71, 72, 81) - wobei einfach die Rollen nicht ganz perfekt (nicht bis ins lingustische Detail) eingehalten werden. Der Kampf gegen andere Dichter wäre dann "nur" der Kampf gegen Konkurrenten in der Liebesbeziehung, die Sonette also ein Vorwurf an den Partner.
Nimmt man die Situation ernst, so beinhaltet dieses Sonettpaar die Bitte um Geld: Die ersten vier Zeilen von Sonett 79 sagen dann: "Weitere Gedichte gibt es erst wieder gegen mehr Bezahlung; meine Gediche sind besser als die der anderen, weil Ihr mich mehr beeinflussen könnt / dürft." Liest man die beiden Gedichte als Liebesgedichte, ist es die Bitte, mit dem Fremdgehen aufzuhören.
Anrufe an die Muse: 32, 38, 78, 79, 82, 85, 100, 101, 103, 128
Auch dieses Sonett gehört in die Reihe um den schriftstellerischen (?) Rivalen (78, 79, 80, 85, 86 )
Es ist gleichzeitig auch ein Bettelgedicht:
Z.9 Your shallowest helpe will hold me vp a floate "Eure geringste (seichteste) Hilfe wird mich wieder flott machen" heißt nichts anderes als: "Schickt mir Geld rüber, sonst gibt's kein Gedicht"
Die you-Form macht dieses Gedicht als Gedicht an den adligen Mäzen überzeugender als 78 u. 79. Würde man aber auch dieses Gedicht als Rollenspiel in einer Liebesbeziehung lesen, so beinhaltet es den Vorschlag zu einer ménage-à-trois. Vgl. dazu auch 86.
Ein Klassiker aus der Reihe "Literatur vermittelt Unsterblichkeit" (Verewigung durch Literatur: 15, 18, 32, 54, 55, 59, 60, 63, 65, 74, 81, 100)
Gemäß den ersten beiden Zeilen scheinen Sprecher und Adressat etwa gleich alt zu sein, der baldige Tod für beide etwa gleich wahrscheinlich. Das gleiche Schicksal macht die beiden ebenbürtig, obwohl den einen ein schlichtes Grab erwartet, den andern ein Monument. Das Monument des andern ist aber "nur" ein Gedicht, der Schrein, in dem er/sie aufgebahrt werden soll, also völlig virtuell.
Die you-Form spricht jedoch auch für einen sozialen Unterschied, sie macht aus dem scheinbaren Liebesgedicht aber eher eine Art Werbebotschaft für die Schreibwerkstatt: "Wir sind billiger als die Konkurrenz (der Steinmetz) und halten länger"
Variante (Du-Form)
Ob ich es bin, der deinen Grabspruch schreibt,
ob du noch lebst, und ich verfaul' im Grab,
egal: kein Tod mehr, der dich hier vertreibt,
selbst wenn ich alles schon vergessen hab.
Dein Name ist von jetzt an nicht mehr sterblich,
werd' ich auch aller Welt entrissen sein.
Ein schlichtes Grab nur in der Erde erb' ich,
Du liegst vor aller Augen hier im Schrein.
Und dann wird dieser Vers dein Denkmal sein,
den jetzt noch ungeborne Augen lesen,
und Zukunftszungen halten dich am Sein,
wenn alle, die jetzt leben, schon verwesen.
Dank meiner Feder Kraft wirst du dann leben,
im Mund von Menschen, die dir Atem geben.
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Gedichte an Mäzene: 38, 71, 72, 75, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 86
Anrufe an die Muse: 32, 38, 78, 79, (82), 85, 100, 101, 103, 128
Auch hier wird ein Mäzen angesprochen, allerdings nun wieder in der Du-Form (thou).
Die erste Zeile ist nicht sehr verständlich, wird doch der Angesprochene sonst jeweils als Muse bezeichnet (vgl. 32, 38, 78, 79, 128) - warum sollte er (oder sie) also mit sich selbst verheiratet sein? Eine Emendation I Grant thou wert not married to me, Muse würde bereits in der nächsten Zeile wieder Schwierigkeiten geben: Weshalb soll der Adressat sich überhaupt schämen? Wohl nur, wenn er selbst der Angesprochene ist, aber genau das ist er ja trotzdem. Es handelt sich also nur um einen Trick, dem Adressaten die Möglichkeit zu geben, ohne zu erröten sein eigenes Lob lesen und kritisieren zu dürfen.
In Z. 4 ist mit blessing to every book natürlich der Geldsegen gemeint, der nach einer Widmung zu erwarten ist. Im Gegensatz zu 78/79 kann es sich hier nicht um ein Liebesgedicht handeln. Es ist offenbar tatsächlich genau das, was es vorgibt zu sein: Ein Gedicht an einen eng befreundeten Mäzen (thou!), der unzufrieden mit seiner Widmung ist - oder nach anderen, "moderneren" Dichtern Ausschau hält. Anders als in Sonett 76 wird hier der eigene Stil gegenüber dem Stil der Konkurrenten als überlegen, wahrhafter und realistischer dargestellt. (vgl. auch Sonett 83 und 130)
83
Gedichte an Mäzene: 38, 71, 72, 75, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 86
Sonett 83 behandelt ein ähnliches Thema wie das vorhergehende (Nr. 82). Kerrigan nimmt an, dass die beiden Sonette zusammengehören, da dieses Sonett mit dem Thema "Schminke" beginnt, wo das vorhergehende aufhört hat. Dieser Zusammenhang ist aber eher unwahrscheinlich, da Nr. 83 den Adressaten mit you anspricht. Schminke bzw. Bilder sind eine gängige Metapher, die auch in anderen Sonetten gebraucht wird. (In Z. 1 trägt painting die Bedeutung "Schminke", in Z. 2 ist damit das (literarische) Abbild bzw. Gemälde des Adressaten gemeint.)
Das Sonett steht aber in engerem Zusammenhang zu den drei folgenden Sonetten. Fast möchte es einem scheinen, als handle es sich um Beiträge zu einem Wettbewerb, in dem es darum ging, bei äußerster Reduktion der sprachlichen Mittel das höchstmögliche Lob zu erreichen. Sonett 84 erreicht dieses Ziel mit den drei (bzw. zwei) Wörtern You are you, die es allerdings noch zu interpretieren hat. Die Sonette 83 und 85 kommen mit null Wörtern aus, sie interpretieren also "nichts".
Wie bei den Liebesgedichten, werden auch bei den Gedichten an Mäzene verschiedene extreme oder paradoxe Situationen durchgespielt. Dieses Gedicht hier versucht, Geld als Dank für nicht erbrachte Dienste herauszuschlagen: Gerade indem der Dichter den Mäzen nicht preist, erweist er ihm besondere Ehre.
Z. 12 both poets
Es ist unklar, ob damit der Sprecher und sein Rivale (aus Sonett 80) gemeint ist, oder ob es sich um zwei Rivalen handelt (wie in Sonett 78)
Vgl. zum Thema auch Sonett 101
Variante: Du-Form
Wen gibt's, der dies noch überbieten kann,
dies reiche Lob: Nur Du allein seist Du,
in dessen Herzen eingemauert dann
der reichste Schatz: dein Vorbild, gleich wie Du!
Ein Armutszeugnis wär's, wenn eine Feder,
kein bisschen Ehre dem Sujet erweist,
doch wer von dir schreibt, macht sein Werk schon edel,
wenn er bloß sagt, du seiest, wie du seist.
Was in dir drinnen steht, kopiert er's bloß,
verdunkelt nicht, was die Natur erhellt,
dann macht der Abklatsch ihn berühmt und groß,
und seinen Stil bewundert alle Welt.
Füg keinen Fluch zu deinen vielen Gnaden,
willst du noch Lob, kann's diesem Lob nur schaden.
Ähnlich wie das vorhergehende Sonett 83, versucht auch dieses hier, höchste Lob mit einem Minimum von Worten wieder zu geben. Hier ist es ein tautologischer Satz, der an den Namen Jahwes erinnert: "Ihr seid Ihr" bzw. "You are you" als Quintessenz des Lobs - in Sonett 83 war es: Nichts.
Gedichte an Mäzene: 38, 71, 72, 75, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86
Shakespeare übertrifft - ähnlich wie in Sonett 83 - die verbale Minimalisierung, die in Sonett 84 (You are you) erreicht wird - statt dreier Wörtern braucht er keines. Wie in Sonett 83 stellt sich der Dichter (oder sein Mäzen ihm) die Aufgabe, sein eigenes Schweigen, das Nichterbringen seiner Dienstleistung, zu erklären. Zuerst scheint die Entschuldigung eine Schreibhemmung des Dichters zu sein, eine Unfähigkeit, Worte zu finden - wobei die Schuld erst noch auf die Muse (also den Mäzen selbst) abgeschoben wird. Mit einem Trick macht sich aber der Sprecher dann zum Trittbrettfahrer aller Konkurrenten und gewinnt damit, ohne ein Wort gesagt zu haben, über seine Konkurrenten, indem er behauptet, dass diese ja alle bestenfalls nur artikulieren, was er selbst vorher gedacht hat, sie verleihen seinen Gedanken nur noch den Worthauch, the breath of words (Z.13).
Z2f: While comments of your praise richly compil'd, / Reserue their Character with goulden quill Kerrigans geschickte Emendation thy character ist gar nicht möglich, da das Gedicht in der you-Form ist. Die Stelle ist aber nicht so unverständlich, wie dies auf den ersten Blick scheint: character ist der Adressat als Hauptperson der Kommentare, their bezieht sich natürlich auf comments.
Z. 9-12, Variante:
Hör ich das Lob, dann sag ich, es sei wahr,
und füg zum höchsten Lobe noch was bei,
doch nur im Geiste, dessen Liebe klar
zu oberst schwimmt (die Wörter sind wie Blei).
Anrufe an die Muse: 32, 38, 78, 79, (82), 85, 100, 101, 103, 128
schriftstellerische Rivalen: 78, 79, 80, 85, 86
Gedichte an Mäzene: 38, 71, 72, 75, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86
schriftstellerische Rivalen: 78, 79, 80, 85, 86
Auch hier geht es - wie in 83 und 85 - darum, die Schreibhemmung bzw. das Ausbleiben von Preisgedichten zu erklären. In 83 und 85 wird dieses Schweigen als höchstes Lob umgedeutet, wobei in 83 die "Schuld" (bzw. der Grund) für das Nichtproduzieren im Adressaten liegt (zu ehrenvoll) und in Sonett 85 weitgehend beim Sprecher (Schreibhemmung). Hier wird die Schuld nun zuerst auf den Rivalen geschoben.
Das Sonett führt die Schifffahrtsmetapher von Sonett 80 weiter. Der Rivale als stolzer Segler wird nun - typisch elisabethanisch - zum Freibeuter, der es auf den Schatz des Mäzens abgesehen hat. Dieser Rivale schreibt offenbar Bücher über alte Zeiten (Kerrigan vermutet in ihm den Homer-Übersetzer Chapman) und hat eine Vorliebe für Dämonen- und Gespenstergeschichten.
Der Schluss macht allerdings dann klar, dass der Anstoß für dieses Gedicht nicht ein vom Mäzen moniertes Ausbleiben von Gedichten ist, sondern dass im Gegenteil dieses Gedicht den Mäzen auf ein Ausbleiben seiner Unterstützung hinweist. Der kleine Hinweis in 80.9: "Your shallowest helpe will hold me vp a floate " ist nicht verstanden worden, jetzt wird der Sprecher noch ein bisschen deutlicher.
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Partner will den Sprecher verlassen: 49, 87, 88, 89, 90,
Das erste einer Reihe von Gedichten, die davon handeln, dass der Partner vorhat, den Sprecher zu verlassen (allerdings wird die Möglichkeit auch in Sonett 49 in Betracht gezogen). Auch in dieser Reihe ist merkwürdig, dass verschiedene Situationen und Verhaltensweisen durchgespielt werden, wobei der (oder die, vgl. oben) Angesprochene wohl nicht immer dieselbe Person ist, und sich auch für das Geschlecht des Sprechers beide Möglichkeiten anbieten.
Hier könnte man sich - in unserer Zeit - etwa einen (männlichen oder weiblichen vgl. oben) Teenager vorstellen, der sich dem Sprecher (z.B. einem Schauspieler oder Sänger) wie ein Groupie "geschenkt" hat, nun aber, etwas älter geworden (vgl. Z. 11 So thy great guift vpon misprision growing), wieder weg ziehen will. Der Sprecher lässt ihn gehen - die Beziehung "kostet" zu viel, die Verbindung war für beide unbefriedigend.
Die verwendeten Metaphern stammen hauptsächlich aus der Finanz- und Geschäftswelt (charter, bond, worth, patent, estimate, grant, give, gift, possess, release).
Z. 3 The Charter of thy worth : "Ein Freibrief, der deine adlige Herkunft bestätigt" - also quasi eine Identitätskarte; eine andere, zynischere aber ebenso passende Lesart wäre aber auch: "dein Preisschild"
Metrisch auffällig: abgesehen von Vers 2 und 4 enden alle Verse mit weiblichen (zweisilbigen) Endungen.
Partner will den Sprecher verlassen: 49, 87, 88, 89, 90, 149
Auch in dieser Situation eines Ehe- oder Beziehungsstreits lassen sich für Sprecher und Angesprochene(n) alle Geschlechtsverteilungen durchspielen (vgl. oben). In Z. 6 (Vpon thy part I can set downe a story) ließe sich bei Vpon thy part ("für deine Rolle") aber doch ein Stückeschreiber und Regisseur als Sprecher vermuten.
Eine solch biographisch gefärbte Lesart ist aber gar nicht nötig. Nicht einmal in der fiktiven Welt der sich aus den Sonetten ergebenden Geschichte muss man hier unbedingt eine Beziehungskrise zwischen den Protagisten vermuten. Der Ton hat sich - im Vergleich zur ähnlichen Situation in Sonett 49 - zwar wesentlich verschärft, die Situation wirkt "real". Im Gegensatz zum vorhergehenden Sonett lassen sich Sonette 88-90 aber immer noch auch als Liebesgedichte lesen, die eigentlich nur die bedingungslose Liebe des Sprechers betonen wollen. Die absolute Bedingungslosigkeit der eigenen Liebe wird beteuert, wobei sich der Sprecher bis zum Masochismus steigert, aber letztlich wird der "Tatbeweis" ja doch nicht angetreten, es bleibt ein Versprechen, d.h. eine Liebeserklärung: "So sehr liebe ich dich, so weit würde ich gehen, wenn..."
Die selben masochistisch angehauchten Beteuerungen des Sprechers (lieber selbst leiden und sich selbst zerstören als dem Partner weh zu tun) erscheinen auch in den Sonetten 35, 49, 89, 90, 149.
Sonett 88 lässt die paradoxe Situation eintreten, die in Sonett 49 als Möglichkeit ins Auge gefasst wurde (wenn "du" und "ich" eins sind, muss ich mich immere auf deine Seite stellen - also auch, wenn du gegen mich bist). Wie in Sonett 35 nimmt der Sprecher deshalb ohne Zögern die Seite des Partners gegen sich selbst ein.
Z.12: Doing thee vantage, duble vantage me: Der Chiasmus unterstreicht das Paradoxon: Wenn du mich hasst, und mir ein Leid geschieht, wirst du dich freuen, denn es wird zu deinem Vorteil sein. Wenn nun "ich = du" gilt, so werde ich mich deswegen doppelt freuen, den doppelten Vorteil haben: a) weil du dich freust und b) weil es mir schlecht ergeht, was für dich ja ein Vorteil ist.
Partner will den Sprecher verlassen: 49, 87, 88, 89, 90
Situation und Argumentation sind identisch mit Nr. 88 (siehe dort). Wie in Sonett 35 werden hier Metaphern aus dem Gerichtssaal verwendet.
Z. 3: Speake of my lamenesse, and I straight will halt: Ein plastisches Beispiel, das zudem auch metaphorisch zu verstehen sein kann ("nenn mich langsam, schwer von Begriff, langweilig, lahm"). Biographische Kritiker benutzen diese Stelle aber (zusammen mit 37.3: So I, made lame by Fortunes dearest spight:), um Shakespeare mindestens ein lahmes Bein anzudichten.
Das Schlusscouplet: For thee, against my selfe ile vow debate, / For I must nere loue him whom thou dost hate betont das in diesen Sonetten (88-90) durchgespielte Paradox: "Wenn du mich hasst, darf ich mich nicht lieben, denn ich und du sind eins, also muss ich mich auch hassen". Es ist die zum logischen Paradox gesteigerte Weiterführung des Liebesschwurs. (Vgl. auch Sonett 40: Kill me with spights yet we must not be foes.)
Partner will den Sprecher verlassen: 49, 87, 88, 89, 90,
Obwohl der Sprecher so tut, als wäre er Hiob persönlich, ist auch dieses Sonett (wie die zwei vorhergehenden, vgl Komm. zu 88) letztlich nur eine Liebeserklärung: Wenn du mich verließest, wäre dies das schlimmste Unglück, das einen treffen kann."
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Witzig ist vor allem, dass die Erwartung des Lesers nach dem Oktett in Z. 9 enttäuscht wird. Was wie ein philosophischer Text beginnt, endet als ein eher lustiges Liebesgedicht, das in seiner Kernaussage ("Du bist mein Alles") an Schlagertexte erinnert ("Gut und Geld / gibt es viel auf der Welt, / aber dich / gibt's nur einmal für mich").
Kerrigan meint, das Wörtchen But zu Beginn schließe dieses Sonett direkt an das vorherige Sonett an ("Doch tu nur dieses Schlimmste..."). Tatsächlich klingt die auch wörtlich zu verstehende Metapher steal thy selfe away (Z.1) an das Schlusscouplet des vorhergegangen Sonetts an, wo genau dies als das Schlimmste dargestellt wird: that thou maist take, All this away. Das mag ja auch der Grund gewesen sein, weshalb Thorpe (oder wer auch immer die Sonette in diese Reihenfolge brachte) es an diese Stelle setzte. Im Tonfall ist dieses Sonett aber von Nr. 91 doch zu sehr verschieden, und das But lässt sich viel besser als "nur" lesen - als der Beginn einer höchst komplizierten Satzkonstruktion, die sich über 8 Zeilen verteilt (But do ... Then need I...). Die Konstruktion ist etwas unübersichtlich, vor allem weil For in Z. 2 gleichzeitig zwei Funktionen übernimmt: Wie nochmals in Z. 4 ist es eine einleitende Konjunktion ("denn"), gleichzeitig aber auch die zu tearme of life gehörende Präposition ("auf Lebenszeit").
Die Argumentation ist ziemlich kompliziert und wimmelt von "logischen" Sophistereien:
Da Du mir auf Lebenszeit (bis dass der Tod uns scheidet) gehörst, kann das Leben nicht länger dauern als die Liebe. Wenn du mich also nicht mehr liebst, sterbe ich. Ich werde es deshalb nicht erleben, dass du mich verlässt, denn wenn du das tätest, dann liebtest du mich ja nicht mehr, und ich wäre also schon tot, bevor du mich verlässt. Auch deine Wechselhaftigkeit kann mir nichts antun, da ich schon beim ersten Wechsel sterben müsste. Ich wäre dann glücklich tot, weil ich diesen Wechsel nicht mehr erleben müsste. Und ich bin wirklich glücklich, denn ich werde dich nie untreu sehen.
Auch hier (wie schon bei 92/93) meint Kerrigan, das erste Wort (So) verknüpfe dieses Sonett mit seinem Vorgänger, so dass sich eine Dreiergruppe (92-93-94) ergibt. Meines Erachtens ist diese Verknüpfung auch hier nicht gegeben, das Sonett beginnt nur mit einem etwas ausgedehnten Vergleich: So .... Like ... : "So werde/will ich leben (nämlich: annehmend, du seist treu) / wie ein gehörnter Ehemann,..."
Eines der wenigen Sonette, in denen durch den Vergleich mit einem gehörnten Ehemann zumindest der Sprecher klar als männlich definiert wird (vgl. oben). Der Vergleich des Angesprochenen mit Evas Apfel muss nicht unbedingt eine Frau aus dem Adressaten machen - aber es schließt diese Möglichkeit sicher nicht aus!
vgl. Schein - Sein (Wolf im Schafspelz): 24, 54, 69, 70, 93, 95, 96
Die Übersetzung ist noch ziemlich unbefriedigend.
Das Sonett propagiert eine stoische Lebenshaltung, sparsamen Umgang mit den Gaben der Natur, Zurückhaltung der Triebe, Keuschheit. Die Lilie welkt und stinkt, weil sie nicht allein lebt, sondern sich eine "gemeine Infektion" - vermutlich Syphilis - geholt hat. (deed ist häufig ein Wort für den Geschlechtsverkehr)
Schlusscouplet: "versaut" ist ein Stilbruch, aber es reimt sich besser auf "Kraut" als "versaurt"; im Englischen werden die süßen Dinge nur sauer (wie die Milch), aber zumindest steckt in der Orthographie Shakespeares auch noch eine Sau drin (sow-rest)
Eine Beschreibung des jungen Mannes (wenn es denn ein junger Mann ist), die Wildes Picture of Dorian Gray vorwegnimmt, und die Thematik und Metaphorik der Sonette 69/70: wieder aufgreift.
vgl. Schein - Sein (Wolf im Schafspelz): 24, 54, 69, 70, 93, 95, 96
Wie beim Paar 69/70 folgt hier auf das sehr kritische Sonett 95 wieder ein besänftigenderer - wenn auch moralisierender - Ton. Fehler werden dem Adressaten (ob Mann oder Frau - vgl. oben - ist auch hier grammatisch nicht klar, aber wantonnesse und gentle sport deuten aber eher auf einen Mann hin) fast verziehen, sie sind aber trotzdem da, und der Sprecher warnt den Adressaten davor, es zu weit zu treiben.
Z. 5: Queene
: Warum nicht King? - In England regiert gerade Queen Elizabeth I.
Z. 11: gazers: Eigentlich "Menschen, die dich anstarren", "Glotzer"
Z.13/14: Identisch mit dem Schlusscouplet von Nr. 36; dort passen diese Zeilen aber besser. Schlusscouplets geben meistens die Quintessenz des Sonetts in fast aphoristischer oder sprichwörtlicher Form wieder. Diese Sprichworthaftigkeit gestattet natürlich, denselben Zweizeiler mehrmals zu gebrauchen. (Wie ja überhaupt Sonette es gestatten, die gleichen Versatzstücke mehrmals einzusetzen...) In vielen Fällen sind die Schlusszeilen aber doch noch mit einem Bindewort an das Hauptargument gebunden. Dies ist auch hier der Fall: das "But" passt in beiden Fällen, merkwürdigerweise passt aber gerade der Sprichwortteil nicht wirklich in dieses Sonett, das Thema "ich bin dein - du bist mein" wird hier gar nicht angesprochen. Vielleicht ein Zeichen, dass mindestens dieses Sonett an eine andere Stelle im Zyklus gehört?
Ich bin dein - du bist mein: 22, 36, 37, 42, 62
Schein - Sein (Wolf im Schafspelz): 24, 54, 69, 70, 93, 95, 96
97
Abwesenheit von der/dem Geliebten: 27, 28, 43, 44, 45, 50, 51, 61, 97, 98
In Sonett 97 und 98 wird die Abwesenheit von der/dem Geliebten mit den Jahreszeiten in Verbindung gebracht (vgl. auch 104). Es scheint fast, als seien die beiden Gedichte aus dem gleichen Anlass entstanden, doch spielt 97 hauptsächlich im Spätsommer, 98 im Frühling, und 97 benutzt die thou-form, 98 die Anrede mit you (vgl. oben zu thou/you).
Sonett 97 bringt auf schöne Weise alle vier Jahreszeiten zusammen, wobei der Winter an Anfang und Schluss einen Rahmen bildet. Unfruchtbarkeit, Fruchtbarkeit, Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt sind das zweite Thema, das mit den Jahreszeiten verbunden wird. Der Sommer ist "hochschwanger" (Z. 5: summer's time : die Zeit, zu gebären). Die Ernte als Geburt des Herbstes ist ein unerwünschtes Waisenkind, weil (hier sicher der Geliebte) als Vater aller Dinge, als Verkörperung des Frühlings, abwesend ist.
Abwesenheit von der/dem Geliebten: 27, 28, 43, 44, 45, 50, 51, 61, 97, 98
In Sonett 97 und 98 wird die Abwesenheit von der/dem Geliebten mit den Jahreszeiten in Verbindung gebracht. Es scheint fast, als seien die beiden Gedichte aus dem gleichen Anlass entstanden, doch spielt 97 hauptsächlich im Spätsommer, 98 im Frühling, und 97 benutzt die thou-form, 98 die Anrede mit you (vgl. oben zu thou/you).
Z. 2: April ist der klassische Frühlingsmonat in England (Chaucer: When Aprille with his shoures sweete)
Z.4: Saturn: Der "schwer-mütigste" Planet, der in elisabethanischer Astrologie für Melancholie verantwortlich ist.
Im dritten Quartett musste ich Z. 9 und 10 vertauschen - die parallelere Version wäre etwas zu salopp:
Die schöne weiße Lilie ließ mich kalt,
Das tiefe Rot der Rosen war nicht ohne,
sie waren süß, von edelster Gestalt,
doch abgemalt, und Ihr wart die Schablone.
Geliebte(r) als Schablone bzw. Urbild von Blumen und Schönheit, vgl: 53, 67, 68, 98, 99
Geliebte(r) als Schablone bzw. Urbild von Blumen und Schönheit, vgl: 53, 67, 68, 98, 99
Zusammen mit Sonett 126 nimmt dieses Sonett eine Sonderstellung ein - fehlen jenem die letzten zwei Zeilen, hat dieses eine zu viel. Die erste Zeile hat quasi eine dramatische Funktion, sie leitet die direkte Rede des Sprechers ein.
Hinter diesem schmeichlerischen, fast schon kitschigen Sonett (Blumen beziehen ihre Schönheit nur von der/dem Geliebten, Schönheitskatalog mit Blumenvergleichen) beinhaltet eine eher makabre Situation, wenn man es genauer untersucht. Die Blumen sind "Diebe", wenn auch "süße", sie bestehlen den Adressaten, saugen Blut, reißen Haare aus etc.: Der (oder die, vgl. oben) Geliebte ist Narziss oder Hyakinthos, wenn aus seinem/ihrem Körper Blumen sprießen, muss er/sie tot sein. Eine etwas weniger mythologische Situation: Der Sprecher steht am Grab des Adressaten und betrachtet die Blumen.
Neben den vielen Sonetten, in denen der Sprecher "tot" ist und aus dem Jenseits spricht, wird hier also die Situation umgedreht: Der lebende Sprecher spricht ins Jenseits.
Das erste einer weiteren Reihe von Anrufen an die Muse.
Indirekt richten sich diese "Musenanrufe" meistens an den Mäzen. In diesem Falle handelt es sich eher um ein Liebesgedicht - so weit sich dies auseinander halten lässt (my love's sweet face in Z. 10 lässt wiederum keine Geschlechtsbestimmung für den Adressaten zu, vgl. oben). In fast allen diesen Gedichten geht es aber auch um Fragen des Schreibens ("Muse" bedeutet entweder einfach nur "Dichtkunst", z.B. in Sonett 32, 85, 100, 101, 103; oder "Muse" wird gleichgesetzt mit dem indirekten Adressaten/Mäzen: 38, 78, 79, 82, 128)
Im Vergleich zu den vorhergegangenen "Musengedichten" wird die Muse hier ziemlich salopp angesprochen, als forgetful ("vergesslich") und resty ("träge", wenn nicht sogar "bockig") bezeichnet.
"Neu" (im Vergleich zu den vorhergehenden Sonetten, wenn man den Zyklus chronologisch betrachtet) ist hier, dass der Sprecher sehr viel Selbstvertrauen gewonnen hat. Er ist nicht mehr der "mindere" von zwei oder mehr Dichtern, wie in den Sonetten um den rival poet (vgl. 78, 79, 80, 85, 86) sondern der einzige, bei dem die Muse sich nicht verschwendet, sondern sogar selbst an Macht gewinnt. In Z. 8 (And giues thy pen both skill and argument) werden die Rollen geradezu umgedreht: Es ist die Feder der Muse (nicht des Dichters), der der Sprecher/Dichter Können und Thema gibt. Der Dichter wird so zur Muse der Muse.
Zum Schlusscouplet: Auch in anderen Gedichten ist das Attribut der Zeit eine Sense (scythe) oder ein Messer (knife), dass dieses hier crooked ist, verweist darauf, dass wohl auch andernorts damit eine Sichel gemeint ist (z.B. das Messer des Alters in 63 oder des Todes in 74). (#Alciati)
schriftstellerische Rivalen: 78, 79, 80, 85, 86
Anrufe an die Muse: 32, 38, 78, 79, (82), 85, 100, 101, 103, 128
Zeit als Sensemann: 12, 19, 60, 63, 74, 116, 126
Gegen die Vergänglichkeit: 5, 6, 12, 15, 16, 19, 60, 63, 64, 65, 74, 116, 126
Zeit kerbt Runzeln 2, 19, 63, 100
Verewigung durch Literatur: 15, 18, 32, 54, 55, 59, 60, 63, 65, 74, 81, 100, 101
101
Ein Gedicht, mit dem sich viele Übersetzer schwer tun, zumindest wirkt es bei vielen unverständlich. Die Argumentation ist aber einfach: Der Adressat (in diesem Sonett ganz deutlich ein er) ist sowohl schön wie auch tugendhaft (obwohl dies ja in anderen Sonetten bezweifelt wird, falls sie von derselben Person handeln vgl. Themen: Schein-Sein), seine "Echtheit" ist also mit wahrer Schönheit "geschminkt" - oder eben nicht geschminkt. Die Muse, die wie im vorhergehenden Sonett sehr despektierlich behandelt wird, hat ihn zu loben vergessen, in der Annahme, die auch der Sprecher in Sonett 83 macht (das man fast als Antwort der Muse lesen könnte), dass nämlich seine Schönheit und Tugend sich selber loben. Die Muse wird nun in die Pflicht genommen, denn nur geschriebenes Lob garantiert Ewigkeit (vgl. Themen: Verewigung). Wie in Sonett 100 auch schon, ist es der Sprecher, der die Muse inspiriert (ihr beibringt, was sie zu schreiben hat: I teach thee how
Eine Ausrede für durch Gewöhnung bedingtes Ausbleiben des täglichen Liebesbeweises: Zu viel Preis macht Liebe zur Ware (das sagt auch Sonett 21), und die Nachtigall hört auf zu singen, wenn alle Vögel singen - zu viel Süße stumpft ab. (Vgl. die klebrige Süße in Sonett 118: nere cloying sweetnesse). Das you in Z. 14 ist ein Plural - der Sprecher richtet sich an die Gesellschaft bzw. an die Leser. (vgl. oben)
Ein weiteres Gedicht an die Muse (vgl. Themen), die ihren Auftrag nur schlecht erfüllt. Vordergründig ist es das übliche Lob des Adressaten (Mäzens), das wieder aus dem Mangel Kapital schlägt (vgl. 82-85): Literatur kommt an die Wirklichkeit nicht heran, kann so viel (äußere und innere) Schönheit gar nicht abbilden; gleichzeitig wohl auch eine Klage des Sonettdichters: In die eng begrenzte Zahl von Versen lässt sich einfach nicht mehr pressen...
Wie in Sonett 97 werden alle Jahreszeiten aufgeboten, wie dort ist der Adressat die Personifikation des Sommers.
Das unmerkliche Vergehen wird mit dem Zeiger der Uhr (dem Schatten an der Sonnenuhr) verglichen, der als "Dieb" unmerklich Zeit wegfrisst (vgl. Sonett 77). figure (Z. 10) ist die Gesamtzahl (an Minuten und Stunden), von der dieser Zeiger (und die Schönheit) langsam etwas wegstehlen.
April (vgl. Sonett 78) und Juni sind die englischen Vertreter von Frühling und Sommer - ich habe sie als Mai und August eingedeutscht.
Das thou in Z. 13 richtet sich nicht an den durchgehend mit you angesprochenen Adressaten, sondern an das Zeitalter (thou age). (vgl. zu you/thou: oben)
Das Sonett riecht sehr nach einem Widmungsgedicht - diesmal wird nicht mit einem Manko gelobt (das Ausgesparte als das höchste Lob), sondern gleich mit der größten Kelle angerichtet, die christliche Dreieinigkeit und das griechische Ideal des Wahren, Schönen, Guten wird aufgefahren, um den Angesprochenen (mit höchster Wahrscheinlichkeit ein Mann, obwohl das Sonett auch hier das Geschlecht offen lässt, vgl. oben) in seiner absoluten Einzigartigkeit und Beständigkeit zu loben. Die "Idolatrie", die zu Beginn abgewiesen wird, wird also in diesem ironischen Gedicht erst recht durch die religiösen Konnotationen bestätigt. (Vgl. auch 108)
Ein weiteres Widmungs- bzw. Preisgedicht, diesmal wird die ältere Literatur als Vergleich herbeigezogen, wie schon in Sonett 59.
(vgl. auch 76)
Die Sprache parodiert die mittelalterliche Dichtung (wights), aber auch die petrarkischen Schönheitskataloge (blazon).
Lange Erklärung zu historischem Hintergrund s. Anm. bei Kerrigan
Z. 5: Mondfinsternis als Zeichen für Elisabeths Krankheit, evt. auch für Untergang der span. Armada
Z. 6: Untergangspropheten (sad augurs) hatten sich getäuscht, Elisabeth erholte sich
Z. 7/8: Incertenties now crowne them-selues assur'de: Thronbesteigung von James I, der Frieden versprach.
"Historische", d.h. aus Shakespeares Sicht "zeitgenössische" politische Vorkommnisse werden als Metaphern gebraucht, um die Liebe zu zeigen.
Z. 12 While he insults ore dull and speachlesse tribes: Der Tod kommt nur zu "prosaischen" Menschen, die nicht dichten können; wie in Sonett 38 behauptet, muss der Adressat in Versen besungen werden (kein Stoff für Prosa),
Die Schlusszeilen führen zum Thema "Verewigung durch Literatur" (vgl. Themen), besonders zu Sonett 55.
Alternativversion:
Was ist im Hirn, das ich noch schreiben kann,
was hat mein Geist noch nicht für dich gefunden,
was ließe sich noch sagen, wie könnt' man
noch meine Liebe, dein Verdienst bekunden?
Ich darf nur noch dies göttliche Gebet
tagein, tagaus zu sprechen nicht erlahmen:
"Bist mein, ich dein, was alt ist, das besteht,
geheiligt sei dein schöner Name. Amen."
Bleibt ewge Liebe in solch frischem Kleid,
dann drücken Staub und die Gebresten nicht,
sie lässt den Runzeln keine Möglichkeit,
nimmt Alter nur als Pagen in die Pflicht.
Die Grundidee der Liebe wird genährt,
wo Zeit und Form sie schon für tot erklärt.
Z.6: Immer wieder dasselbe sagen = vgl. 76 und 105
In
Sonett 105 wird der Vorwurf der Idolatrie zwar abgewiesen, aber nicht entkräftet. Auch dieses Sonett bewegt sich in diese Richtung: Der/die Geliebte wird mit "göttlichem Gebet", mit einer Textabwandlung des Paternosters, regelrecht angebetet. ("Geheiligt werde dein Name" - wobei ja der Name - wie der Name Gottes im Judentum - so heilig ist, dass er eben gerade nicht genannt wird.)
Durch die ständige Wiederholung dieser Liebeslitanei bleibt die Liebe frisch, sie altert nicht und kriegt keine necessary wrinkles (d.h. es gibt sehr wohl Runzeln - sie sind "notwendig" bzw. "unumgänglich", und man altert schon, aber dies ist dann nicht mehr von Bedeutung).
Z. 13 the first conceit of loue: die erste Metapher für Liebe, aber auch der erste "Begriff" der Liebe - das "Altertum" von Z. 12 ist hier die persönliche oder allgemeine Vergangenheit, in der zum ersten Mal die Liebe gestanden wurde, es geht also einerseits um Forschung in der persönlichen Geschichte (wie haben wir uns früher genannt, beschrieben usw.), aber auch um Sprachgeschichte.
s. auch 110 u. evt. 111
Wie auch das folgende Gedicht handelt dieses von eigenem Fremdgehen. Nach seiner Verirrung ("Umherirren"), kommt der Sprecher reuig zu seinem "Alles", zur einzigen Liebe, zurück.
s. auch 109 und evt. 111
Das Geschlecht des Adressaten ist auch hier nicht bestimmt (vgl. oben), auch das Alter nicht (Z.11, older friend muss nichts über das Alter sagen - es ist nur die "ältere" Freundschaftsbeziehung).
Der Adressat wird nun mit you angesprochen. Wenn mit der "schlimmen Tat" das Fremdgehen in 109/110 gemeint ist, so könnte man annehmen, dass es dadurch zu einer Entfremdung gekommen sei (109 und 110 haben thee als Anrede).
Das Sonett nennt aber den Fauxpas nicht, für den es sich entschuldigt - es kann also eine Entschuldigung für irgend etwas anderes sein - und auch für irgendetwas verwendet werden, solange der Sprecher jemand ist, der irgendwie öffentlich auftritt: Z. 4 publick meanes which publick manners breeds sind "öffentliche Mittel" (mit denen der Sprecher seinen Lebensunterhalt zu bestreiten hat), die zu "öffentlicher Lebensart", "öffentlicher Unsitte" führen.
Wie das dreimalige pitty ("Mitleid", "Erbarmen") zu verstehen ist, hängt sehr davon ab, was nun die Missetat war. In Z. 8 heißt pitty me eindeutig "Habt Mitleid"; im Schlusscouplet dagegen ist ein zweimaliges "Habt Mitleid" angebracht, wenn es um die Folgen irgendeines öffentlichen Skandals geht, falls es aber um das Verzeihen eines Fehltritts wie Fremdgehen geht, wäre "Erbarmt Euch" bzw. "Verzeiht mir" naheliegender und witziger. Eine Verzeihung des Partners würde den Sprecher "heilen", ohne dass er die versprochene Buße tun muss (die bittere Pille schlucken) - für eine Tat, für die er sowieso nur das Schicksal verantwortlich macht ...
Die Reihenfolge 109-110-111 ist ein gutes Beispiel für die Art, wie wir nacheinanderfolgende Gedichte als eine Geschichte lesen. Denn deutlicher als dieses Sonett hier sich an 109 und 110 anschließt, schließt sich das folgende Sonett 112 an dieses hier an. Und mit dem Fehltritt von 109 und 110 hat dieses Sonett nun nichts mehr zu tun, es geht offenbar nur um einen Theaterskandal, evt. eine schlechte schauspielerische Leistung - oder den Misserfolg eines Stückes.
Das Sonett übernimmt die in 111 angesprochene Thematik. Der Skandal (in 111 als harmful deeds und publick manners bezeichnet) bewirkt, dass der Sprecher auf der Stirne "gebrandmarkt" ist (so wie sein Name in 111). Das Mitleid, das er vom Adressaten verlangt, besteht darin, dass dieser dieses Mal bzw. diesen "Eindruck" wieder stopft, oder dass er die guten Seiten des Sprechers dessen schlechte Seiten "übergrünen" lässt; Gras soll also über den Skandal wachsen.
Die Vermutung, dass Shakespeare als Schauspieler oder als Theaterdichter in den Augen der Öffentlichkeit irgendwie versagt hat, ist naheliegend. Das Gedicht, das sich offenbar wieder an einen Mäzen richtet, stellt diesen als die einzige Person dar, auf deren Kritik es dem Sprecher ankommt.
Zusammen mit 114: Ein weiteres "Abwesenheitsgedicht" (vgl. Themen)
Die große Anzahl dieser Gedichte muss nicht auf eine bestimmte biographische Abwesenheit deuten, wohl aber gehören diese Gedichte alle thematisch zusammen. Das Thema "Abwesenheit von / Sehnsucht nach der/dem Geliebten" ist schließlich nichts Besonderes in der Liebeslyrik - wäre der Partner da, bräuchte es ja auch kein Gedicht, und Liebe lässt sich am Einfachsten durch Sehnsucht wiedergeben.
In diesen beiden Gedichten wird die Abwesenheit nun aber gar nicht empfunden, denn das Auge spielt nicht mit, es sieht den Partner immer noch, er bleibt präsent, immer vor dem "geistigen Auge", nicht - wie etwa in Sonett 53- nur in den schönsten Dingen, sondern in ausnahmslos allem. Das Auge macht sich dazu selbstständig, leitet seine Informationen weder ans Herz (als Sitz der Gefühle) noch an den Verstand weiter, bzw. beliefert beide mit der stets gleichen Information, dem Bild des/der Geliebten. (oder des Mäzens - die Anredeform bleibt you, im Gegensatz zu den anderen Abwesenheitsgedichten)
Die Fortsetzung von 113 kompliziert die "biologische" Metapher durch Hinzufügen von Chemie und Politik. Der Verstand ist nun der Herrscher des Mikrokosmos "Sprecher". Bildet dieses vor-Freudsche Ich sich ein, Herr im eigenen Haus zu sein, so irrt es sich. Ist es der Ansicht, der Partner sei sein stets präsenter Untertan, mit dem es nun quasi "gekrönt" sei (Z.1), so ist es einer Schmeichelei zum Opfer gefallen. Sagt ihm ein anderes Ich (das des Autors?) in Z.3, es dürfe dem eigenen Auge vertrauen, das Kenntnisse in Alchemie habe, und deshalb zwar nicht Gold, wohl aber den Partner aus allen Stoffen machen könne, so fällt es erneut einer Lüge und einer Schmeichelei zum Opfer.
Das Schlusscouplet wird allgemein so interpretiert, dass das Auge eine "lässliche Sünde" begehe, weil es aus Liebe handle. Ich hoffe, dass meine Übersetzung - wie das englische Original - aber auch noch für eine zweite Deutung offen bleibt, die mich wahrscheinlicher dünkt. Der "Held" bzw. "König" dieses Sonetts ist ja nicht das Auge (wie in Sonett 113), sondern der Verstand als eine Art Antiheld. (Das Auge ist Giftmischer, Schmeichler und Vorkoster bzw. Mundschenk.)
The lesser sinne als die
"lässlichere Sünde" beinhaltet einen Komparativ - zwei "Sünden" werden verglichen, von denen nur eine (die lässlichere) verzeihlich ist. Die verzeihlichere ist aber nun nicht die Sünde des Auges (zu lügen, falsche Dinge vorzugaukeln, zu schmeicheln, Gift zu mischen) sondern die des Verstandes (auf die Schmeicheleien hereinzufallen, die Trugbilder zu glauben). Der Verstand beginnt nämlich nicht damit, das Auge ist dafür verantwortlich, er ist von ihm abhängig...
Scheinbar wieder ein Liebesgedicht, allerdings auch dieses in der you-Form, was der Emotionalität des Ganzen einen Abbruch tut. Das Gedicht betont die Liebe mit einem relativ einfachen Trick: "Bisher habe ich gelogen, als ich sagte, dass ich Euch über alles liebte, denn jetzt liebe ich Euch noch viel mehr." Dieser Trick beinhaltet aber auch logische / epistemologische Probleme, die im Sonett auch erwähnt werden, und die dort auch noch moralische Implikationen nach sich ziehen. Ist es möglich, über seine Gefühle in Superlativen zu reden, wenn man die Zukunft nicht überblicken kann? Falls es möglich ist, darf man es tun? Damit Liebe wachsen kann, meint das Schlusscouplet, sollte man nie eine endgültige Aussage machen.
Das Gedicht über die wahre Liebe wirklich treuer Seelen muss nicht ganz zum Nennwert genommen werden. Obwohl der Sprecher in vielen Gedichten - z.B. gerade im vorhergehenden - seine wahre, große, treue Liebe auf alle möglichen Arten beteuert, ergibt sich ja aus der "Geschichte", die der Zyklus erzählt, ein anderes Bild - ein Wechselbad von Enttäuschungen, Angst vor Alter und Tod, Befürchtungen über das Fremdgehen des Partners, Lieblosigkeit, tatsächliches Fremdgehen beider Partner usw. Spricht Sonett 116 also von einem unerreichten, aber anzustrebenden Ideal? Ich glaube auch das nicht. Das Schlusscouplet hebt nämlich alle Aussagen wieder auf:
If this be error and vpon me proued,/ I neuer writ, nor no man euer loued: "Wenn dies falsch ist, habe ich nie geschrieben (= bin ich kein Dichter)" ist zwar eine logisch korrekte Bekräftigung des Gesagten, sie lässt sich umdrehen in: "Ich habe dies geschrieben (= Ich bin ein Dichter), ergo stimmt es". Dahinter lauert aber der Platonsche Gemeinplatz, dass Dichter immer lügen, und schon stecken wir im Lügenparadoxon drin: Lügt der Dichter nicht, wenn er sagt, er lüge nicht? Noch komplexer wird der zweite Teil der Bekräftigung, dessen doppelte Verneinung bereits logisch das Ganze entkräftet. nor no man euer loued ist vieldeutig, es kann heissen "und kein Mensch/Mann hat je nicht geliebt", aber auch: "und ich habe keinen Menschen/keinen Mann je nicht geliebt."
Frühere Version:
Ich glaub, der Ehe treuer Seelen liegt
kein Stein im Weg. Die Liebe bleibt bestehn,
auch wenn sich Abwechslung ergäb', sie biegt
sich nicht, wenn sich die Wetterhähne drehn.
O nein, sie bleibt auf festgelegter Bahn,
die unerschütterlich im Sturme ist.
Sie ist ein Leitstern dem verirrten Kahn,
unschätzbar, auch wenn man die Höhe misst.
Vom Sichelspiel der Zeit ist sie entbunden,
mag Wangenrot und Lippenrot auch fallen.
Sie ändert nicht in Wochen oder Stunden
und bleibt bis an den letzten Tag von allen.
Wenn man mir dies als falsch beweisen kann,
wär' ich kein Dichter, liebte nie kein('n) Mann
Eigenartigerweise ist auch dieses Sonett in der you-Form, obwohl es doch sehr keck daher kommt. Die Metaphorik stammt gänzlich aus dem Gerichtssaal - der Adressat (Mann oder Frau, vgl. oben) reicht Klage ein - seine Verdienste, seine Freundschaftsbeweise werden vom Sprecher nicht mit Ähnlichem vergolten, er hält Abmachungen und Besuchszeiten nicht ein. Der Sprecher fordert ihn heraus, er möge nur über alles Buch führen - und offenbar wird der Sprecher dann auch diesen Prozess verlieren. Er wird aber Berufung einlegen, und dabei wird er darlegen, er hätte dies nur getan, um die Liebe und Treue des Klägers zu testen.
Variante zu Z. 13/14:
In der Berufung geb ich dann zum Besten:
Ich tat dies nur um Eure Lieb zu testen.
Liest man das Gedicht als ein Liebesgedicht, so ist der Inhalt mehr als unverschämt, fast zynisch: Das bewusste Fernbleiben vom Partner und das konstante eigene Fremdgehen - denn darum ginge es dann wohl in Z. 5 - werden nun als Liebesbeweise hingestellt.
Die you-Form spricht aber gegen einen solch intime Lesart. In anderen Sonetten, wo Gerichtsszenen als Metaphern herhalten, wo allerdings nicht das eigene Fremdgehen, sondern das des Partners verhandelt wird (vgl. 35, 49, 88 und 89), stellt sich der Sprecher ja immer geradezu masochistisch gegen sich selbst auf die Seite seines Partners. Eine solch freche Rechtfertigung passt also im Falle effektiver eigener Schuld nicht gut.
Das Gedicht ist eher eine witzige Antwort auf die Ansprüche eines Mäzens. Dazu passt auch Z. 7 And giuen to time your owne deare purchas'd right: Diese "teuer erkaufte Zeit" ist kein (mit was auch immer) teuer bezahltes Schäferstündchen, auch nicht das eines Call-Boys mit seinem Liebhaber oder einer Lady Bellaston, es ist vielmehr die bezahlte Zeit, die ein Künstler am Hof seines Mäzens zu verbringen hat - als Gegenleistung für finanzielle Unterstützung oder effektiv gegen direkte Bezahlung. Auch die Segelmetapher passt in den Mäzens-Kontext, vgl. Sonette 80 u. 86
Gedichte an Mäzene siehe Themen.
Vgl. auch 118, 119, 120
vgl. auch 117, 119 u. 120
Auch dieses Sonett behandelt offenbar ein Fremdgehen, und auch dieses Sonett ist in der you-Form. Die Krankheits- bzw. Medizinmetaphorik macht es ziemlich unappetitlich, ebenso wie das folgende Sonett, das den Adressaten nicht direkt anspricht (weder mit you noch mit thou).
Der Sprecher verschreibt sich ein Gegengift gegen sein Wohlergehen, damit es ihm nicht zu gut geht und er dann davon krank wird. Er nimmt bittere Arzneien, um krank zu werden bzw. sich zu erbrechen. Diese prophylaktische Kur heilt ihn aber nicht von seinem "Problem", der starken Anziehung des Adressaten, dem Verlangen nach dessen "Süße".
Sowohl die Anredeform wie auch die spezielle Metaphorik deuten auch hier darauf hin, dass es eher eine kecke Antwort an einen Mäzen als eine Rechtfertigung für einen intimen Beziehungsbruch geht. Die bitteren Arzneien wären also nicht andere (Sexual-)Partner, sondern andere Mäzene. Die nere cloying sweetnesse wäre als "fast klebrige Süße" eine schwere Beleidigung für den Partner, bei einem Mäzen mag dies als extravagantes Lob eher durchgehen.
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Da keine direkte Anrede vorkommt, ist es schwierig, dieses Gedicht einzuordnen. Die Metaphorik verweist auf das vorhergegangene Gedicht, und auch der Inhalt scheint ähnlich - es geht um einen Faux-pas, vermutlich ein Fremdgehen. Die Argumentation ist ähnlich frech wie in den beiden vorhergehenden Sonetten, wenn man sie auf einen Beziehungsbruch anwendet. Dass "Besseres durch Schlechtes besser wird", dass also Ehebruch eine Ehe wieder besser kittet, den Partner wieder attraktiver macht, ist wohl nicht gemeint. Ein momentaner Wechsel zu einem anderen Mäzen kann aber sehr wohl beim Zurückkehren zum alten Geldgeber als "Fehltritt" bezeichneet werden, und kann auch zu einem dreimal höheren Lohn führen.
Ein letztes Sonett aus der you-Reihe. Scheinbar geht es auch hier wieder ums Fremdgehen, aber wie schon in den vorhergehenden Sonetten ist dies aus den gleichen Gründen eher unwahrscheinlich: Bei einer erneuten Versöhnung würden die Partner sich mit thou anreden, und wie in den Sonetten 117-119 wäre die Argumentation allzu herzlos und zynisch. Viel eher dient auch hier der vermeintliche Beziehungsstreit als Metapher für die Beziehung zum Mäzen. Das Sonett verweist also nicht zurück auf die Beziehungsprobleme, die in den Sonetten 35, 36, 40-42 und 92-96 angesprochen werden (dort wird auch immer thou benützt), sondern auf die Probleme in der Geschäftsbeziehung, die in den Sonetten um den rival poet zur Sprache kommen (eindeutig in 78, 79, 80, 85, 86).
Ein Sonett, das aus dem Rahmen tanzt, da es weder direkt um Liebes- noch um andere Situationen geht, sondern eher um Weltanschauung und Moral. Die scheinbar frivole Haltung, die man aus dem ersten Quartett herauslesen könnte (Wer schlecht ist, kann mehr genießen), ist aber an die Bedingung geknüpft: Derart schlecht sein müsste man, wenn es wirklich so ist, dass wer nicht schlecht ist, notgedrungenermaßen schlecht scheint. Wenn dem aber so wäre, dann gäbe es, wie das Schlusscouplet darlegt, nur Schlechtigkeit auf dieser Welt. Da dem aber nicht so ist, soll jeder vor seiner Türe kehren, soll man nicht den Splitter im Auge das andern suchen.
Auch das an den christlich/jüdischen Gott erinnernde I am that I am ist nicht als Profanierung gedacht - es ist die Aufforderung, zu sich selbst zu stehen, weder gut noch schlecht sein oder scheinen zu wollen.
Die Versuchung ist groß, eine Beziehung zu Sonett 77 herzustellen. Eine solche Verbindung wirft kein gutes Licht auf den Sprecher: Er hat jemandem (bleiben wir mal beim mysteriösen jungen Mann, obwohl in beiden Gedichten das Geschlecht des Adressaten nicht ersichtlich ist, vgl. oben) ein leeres Notizbuch geschenkt, mit dem Rat, sich dort persönliche Gedanken zu notieren. Nun müsste er also dieses Büchlein gefüllt (vielleicht mit Sonetten) als Geschenk (oder auch nur zur Ansicht und Kritik: thy gift wäre dann "mein Geschenk an dich") zurück erhalten haben. Statt es hoch zu achten, hat er es weitergegeben, verloren oder weggeworfen. Im Gedicht rechtfertigt der Sprecher diese epatante Gefühlskälte und Verletzung der Intimsphäre, indem er daraus nun sogar einen Liebesbeweis macht. (Ein psychologisch ähnliches Verhalten zeigt sich auch in Sonett 117).
Das muss aber nicht so sein - es kann sich, wenn man die Gedichte biographisch lesen will, um ein anderes Geschenk oder gar ein Geschenk von jemand anderem gehandelt haben - vielleicht eine Sammlung von Sonetten, denn eine lyrische Form des Inhalts würde eher glaubwürdig machen, dass der Sprecher sie auswendig gelernt hat - es kann aber auch "nur" eine "erfundene" Situation sein, ein weiteres Mittel, die Stärke der Liebe zu beweisen, die keine Erinnerungsstücke braucht.
Ich muss gestehen, ich habe Mühe mit diesem Sonett.
Z.2:
Kerrigan verweist darauf, dass Shakespeare mit "Pyramiden" meist etwas Spitzigeres verband, z.B. Obelisken (die Papst Sixtus in Rom zu Repräsentationszwecken aufstellen ließ, von denen es vermutlich auch in England gab). Das überzeugt, ändert aber nichts an MEINEM Problem mit diesem Sonett.
Welche "Wette" ist der Sprecher mit der Zeit eingegangen? Dass sich nichts ändert, oder dass sich alles ändert? Dass immer alles gleich sei, oder dass sich immer alles ändre? Dass es immer etwas Neues gäbe, oder dass immer alles gleich bleibe? Wie ironisch ist dieses Gedicht? Hört die Ironie irgendwo auf?
Sonett 123 ist das erste von vier Sonetten (123, 124, 125, 126), bei denen etwas mit den Schlusscouplets nicht zu stimmen scheint: Entweder passen sie nicht, oder sie fehlen überhaupt.
Das Gedicht scheint sich an einen Mann zu richten (vgl. oben), wenn die Liebe zwischen zwei Zeugenden nicht einfach als Metapher benützt wird. Immerhin wird der Sprecher, der wohl dann die Frauen- resp. Mutterrolle übernimmt, ja auch nicht als Frau gesehen, insofern muss der Angesprochene auch nicht zwingend ein Mann sein...
Bis zum Schlusscouplet könnten wir uns auch wirklich eine Frau als Sprecher vorstellen; die Frau ist z.B. die Mätresse eines wichtigen Politikers, und sie versucht zu beweisen, dass ihre Liebe nicht berechnend sei.
Egal, wie wir den Sprecher geschlechtlich festlegen, der Schluss bleibt mysteriös. Weshalb ruft der Sprecher ausgerechnet "Windfahnen" als Zeugen auf? Wie, womit und wofür "zeugen" sie? Sind sie bloß deshalb aufgerufen vor dem fiktiven Gericht, damit der Richter oder die Jury den Unterschied erkennt, oder sollen sie zeigen, dass alle irgendwann mal ihre Meinung, Ansicht, Weltanschauung wechseln? (vgl. 123, 125, 126)
Der Sprecher wendet sich mindestens (von uns Lesern abgesehen) an zwei Personen, die eine ist sein Gelieber - oder seine Geliebte - (Z. 9-12), die andere (Z. 13) ein "Spion" oder "Spitzel", oder bloß ein "normaler Informant", also irgendein "Besserwisser" oder "Lehrer".
Die ersten 8 Zeilen beinhalten eher bekannte Zivilisations- bzw. Gesellschaftskritik: Der Sprecher weigert sich, gesellschaftliche Umgangsformen (z.B. Dresscode) und das Suchen nach Gunst mitzumachen.
Z. 3f mag eine Metapher sein für das Schaffen von Grundlagen für ein "ewiges" Beziehungsnetz, könnte aber auch auf den Dichter hinweisen, dessen Sonette oder anderen Werke einen "Sockel" bilden könnten für das literarische Denkmal des Mäzens.
Z. 5-8 ist im Englischen (und wie ich hoffe, ein bisschen auch in meiner Übersetzung) je nach Interpunktion wunderbar mehrdeutig (durch Weglassen oder Einfügen von Satzzeichen lassen sich Enjambments bilden oder entfernen), läuft aber auf dasselbe hinaus: Sich an höfische bzw. gesellschaftliche Formen halten und auf Gnade hoffen bringt nichts.
Z. 9-12: Hier wird ein "Du" angesprochen, in dessen Herzen der Sprecher nun wirklich "formell" sein will, und wo er auch auf "Gnade" hofft.
Z. 13f, das Schlusscouplet, hat sich vermutlich fälschlicherweise hierher verirrt. Ein Bösewicht (Spitzel, Belehrer) soll verschwinden, die "treue Seele" ist aus irgendwelchen Gründen angegriffen (vielleicht weil sie das gesellschaftliche Spiel von "Form und Gnade" nicht mitmacht?), behauptet sich aber zumindest verbal als unabhängiges Individuum, das keinen Befehlen gehorcht.
Hat dieser schattenhafte "Informer" Kritik am Kleidungsstil und am Verhalten des Sprechers geführt? Selbst wenn dies der Fall wäre, würde es ja dessen "treue Seele" nicht in "Bedrängnis" bringen.
Vorschlag: Vergessen wir dieses Gedicht - oder dessen letzte zwei Zeilen! (vgl. 123, 124,126)
Dies ist nach der offiziellen Lesart das letzte der an den jungen Mann gerichteten Sonette - es ist aber keines, es fehlen ihm die letzten zwei Zeilen (in Q durch zwei Klammern gekennzeichent) - ein Glück, wenn man an die unglücklichen Enden der letzten drei Sonette denkt (vgl. 123, 124, 125)! Es ist auch in seinem Reimschema unüblich: Paarreime statt Kreuzreime lassen vermuten, dass es überhaupt nicht als Sonett gedacht war.
Der Adressat wird zuerst als "lovely boy" (Eros?) angesprochen, der erst noch das Stundenglas des Todes bzw. der personifierten Zeit in der Hand hält. (# gibt es solche Darstellungen, z. B. bei Alciati??)
Er wird uns aber unmerklich bekannt und dadurch individualisiert, man nimmt bald nicht mehr an, dass es sich um eine allegorische Figur handelt. Die Schlusszeilen - wären sie denn da - würden ihn endgültig "konkretisieren". (Das Gedicht könnte, wie Nr. 10 oder 11, im Ratschlag enden, Kinder zu machen, es gehört aber auch zu Nr. 67 und 68, ist vermutlich ein unvollendetes Gedicht aus diesem Trio, das davon handelt, dass die personifizierte "Natur" sich den Adressaten aufbewahrt, ihn nicht altern lässt, um über die "Zeit" zu triumphieren.
Der Adressat wird als mistress angesprochen, ist also eindeutig eine Frau, und sie hat schwarze Augen. Dies ist das offiziell erste der black lady sonnets
[nach oben später: Erkennbar durch. a) ein gewissen "Schlechtermachen" des Adressaten - bei gleichzeitigem Lob, b) Hinweise auf "dunkle" features, z.B. Augen oder Haar; c) eindeutig weiblich zuordbare Bezeichnung "mistress", d) Aktionen wie z.B. "kiss", die unter Männern fragwürdig wären. e) "bawdy jokes" d) "she"
Die Klage über das Zunehmen von kosmetischen Massnahmen in fast allen Schichten wird auch in den Sonetten an den jungen Mann thematisiert (53, 67, 68, 82, 83, 101), die Angesprochene ist schon deshalb schön, weil sie diese "Verbesserungen" der Natur nicht benutzt oder nicht nötig hat."
Vgl. auch 146
Die Geliebte wird voyeurhaft in einem erotischem Verhältnis mit ihrem Tasteninstrument gesehen. Auch hier wird eine "Muse" angesprochen, aber nun sicher kein Mäzen. "Kiss" deutet neben den anderen Anspielungen auf eine Frau hin.
Shakespeares Gegenstück zu Brechts Ballade von der sexuellen Hörigkeit? Die Abhängigkeit von sexuellen Trieben wird als etwas dargestellt, das man(n) bekämpfen sollte (vielleicht nach christlicher Sexualmoral?), aber als Mann einfach nicht kann. Das Gedicht ist insofern einfach und witzig, trotz der scheinbar eher prüden Einstellung (das Gedicht ist aber ironisch!).
Ob hier aber ein Casanova sein ewiges (erfolgreiches) Schürzenjagen bereuen oder büßen will, ist nicht unbedingt klar - es kann auch eine Klage über den ständigen Masturbationszwang eines jungen Mannes sein. Die zweideutigen Wörter für Samenerguss oder Samenvergeudung (expense of spirit, waste of shame) sind da, wenn man waste als waist liest, ergießt sich dieser Same in einen Schoß, sonst bleibt er onan-mäßig draußen. post coitum oder post masturbationem - egal, omne animal triste ist, was das Sonett sagt.
" Mein Schatz bleibt auf dem Boden, wenn sie geht.": Petrarkische Sonett-Dichtkunst wird vom Kopf auf die Füße gestellt. Der Vergleich zur mittelalterlichen Hohen und niederen Minne drängt sich auf, wäre aber fehl am Platz. Die "dunkle Frau" wird nicht als hässlich beschrieben, wie man das auf den ersten Blick meinen könnte. Vielmehr wird das Lob ihrer Schönheit "ex negativo" verkündet.
Diese "Sgraffiti-technik", das Malen durch Weglassen bzw. das Loben durch Verneinen ist uns schon aus einigen Mäzen-Gedichten vertraut (#nachschauen).
Vgl. Sonett 141, das der Geliebten auch jede sinnliche Attraktivität abspricht, allerdings ohne Ironie.
Bei Gebrauch für männliche Adressaten genügt ein Wechsel in Z. 1: "Tyrannisch bist du, wie ein Mann, der findet"
Ob der Adressat nämlich eine Frau ist, ist auch hier nicht sicher (vgl. oben), aber der Bezug auf die Farbe schwarz scheint es klar zu machen, dass es um die "Dark Lady" geht.
Die Schönheit dieser Unbekannten wird nun ziemlich eindeutig gelobt (im Gegensatz etwa zum vorhergehenden Sonett). Nun ist allerdings ihre Seele "schwarz", wegen ihrer deeds, was vermutlich sexuelle "Taten" sind, vgl. Sonett 94)
Das dritte Quartett findet metaphorisch im Gerichtssaal statt: Es wird geschworen, die Seufzer sind vorgeladene Zeugen, das Ich kommt zu einem Richterspruch.
Wie in Sonett 127 wird die Augenfarbe als schwarz beschrieben, dort und in 130 ist es auch das Haar, bei 131 und 132 könnte man auch meinen, die Hautfarbe sei schwarz (complexion in 132.14), vermutlich ist eher der durch Augen- und Haarfarbe "dunkel" erscheinende Gesamteindruck gemeint als ein effektiv sehr dunkler Teint, obwohl es faszinierend wäre (und auch nichts dagegen spricht), sich die schwarze Lady als wirkliche "schwarze Lady" vorzustellen.
Die schwarzen Augen erscheinen immer noch traurig (wie in 127), doch trauern sie nun nicht mehr um die Überhandnahme von Kosmetik und Perücken in der Londoner Gesellschaft, sondern nur noch, dass der arme Sprecher noch keine Aufnahme im Herzen der Herrin gefunden hat.
Z. 9 As those two morning eyes become thy face:
morning hat zwei Bedeutungen ("Trauer" und "Morgen", die elisabethanische Schreibweise unterscheidet die beiden Wörter nicht). Auch wenn meine Übersetzung aus vers-technischen Gründen auf die Wiedergabe von beidem verzichtet, die schwarzen Augen sind eben nicht nur "trauernd", es sind auch strahlende "Morgenaugen" (wie die vorher erwähnte Morgensonne).
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Auch in diesen zwei Sonetten ist die Geschlechterordung eigentlich nicht vorgegeben (vgl. oben), man könnte sich geschlechtsmässig alle Kombinationen ausdenken (die Sklaven-Metaphorik kommt in den Sonetten 57/58 schon vor). Dass die dritte Person männlich sein muss, ist in 133 so wenig eindeutig wie das Geschlecht des Sprechers und des Adressaten (gerade in den "Männersonetten" wird der junge Mann häufiger als "my love", als als "my friend" bezeichnet), in Sonett 134 ist er aber mit "he" geschlechtlich markiert, und die beiden Gedichte scheinen zusammen zu gehören.
Die Dreiecksgeschichte, die hinter diesem (und dem nächsten) Sonett steckt, erinnert an die Sonette 35, 40, 41, (vielleicht auch an die Serie 117-120) und an 152 und 144. Ob es bei allen Sonetten um dieselbe - und dann womöglich erst noch autobiographische - Sache geht, ist zu bezweifeln.
Z. 9-12: Das Herz von A ist gefangen im Herzen von B, das Herz von B in dem von C. C (der Adressat) hat offenbar A auf eigene Faust gefangen. Es kommt nun zu einem Kompetenzstreit der Gefängnisbesitzer, obwohl es zuerst so aussieht, als möchte B den A freikaufen (let my poore heart bale: "Lass mein armes Herz die Kaution stellen"), geht es nicht um einen Freikauf, sondern nur um eine endgültige Festlegung, wer jetzt in welcher Zelle (garde ist gar nicht "Schutz", sondern eher "Schuthaft", "Verwahrung") A gefangen halten darf. A's Meinung wird dazu nicht gefragt. B meint, C solle A in seinem (B's) Herzen belassen, dort sei A vor der "Tyrannei" des Gefängniswärters C sicher, alles andere wäre Hausfriedensbruch oder Überschreiten der Kompetenzen. Das Couplet macht dann aber klar, dass C auch an A wieder alle Anrechte hat, da C ja B besitzt, und was sein (B's) Besitz ist, besitzt auch C.
Von dieser Erkenntnis ausgehend, fährt Sonett 134 weiter, wenn es denn wirklich mit 133 zusammen gehört. Hier wird nicht mehr Gefängnismetaphorik benutzt. Es ist gar nicht so klar, ob hier überhaupt Metaphorik benutzt wird, oder ob es sich nicht einfach um ein reales Geschehen im Leben des Dichters handelt: Der Freund des Sprechers hätte dann als Bürge beim Adressaten irgendwelche Schulden getilgt oder wenigstens für ihn gebürgt, hätte so den Adressaten kennen gelernt und sich dabei in sie/ihn verliebt.
Im übertragenen Sinn sieht das Ganze etwas anders aus - es geht nicht um das Abzahlen einer Geldschuld, die Dame ist zwar Wucherin, aber sie wuchert nicht mit Geld, sondern mit ihrer (in diesem Gedicht wieder unbestrittenen) Schönheit, für die sie als Zins beim Betrachter wohl gewisse eheliche oder uneheliche Pflichten einfordert. Wen sie dann mal als ihren Schuldner hat, den lässt sie nicht mehr gehen. Der Sprecher ist ein Pfand ihres "Willens" - was, wie die nächsten beiden Sonette zeigen, auch sehr eindeutig aufgefasst werden kann.
Biographisierende Deutungen nehmen an, dass der Ehemann der Dark Lady William hieß, ebenso wie der Sprecher (= Shakespeare) und vielleicht auch noch weitere Liebhaber.
Die beiden Will-Sonette spielen fröhlich mit den vielen Nebenbedeutungen des Wortes will. Das häufige Vorkommen desselben Wortes an einer Stelle deutet bei Shakespeare immer auf einen Wortwitz - und meistens auf eine Zote - hin. In beiden Sonetten wimmelt es von "Wills", sie werden sogar im Originaltext zu einem großen Teil durch Großschreibung und Kursivdruck hervorgehoben, damit ja niemand einen Witz verpasst.
Will kann die folgenden Bedeutungen haben, die alle in diesen beiden Sonetten zum Vorsch(w)ein kommen:
1) "Wille"; 2) "Wunsch"; 3) "Eigensinn"; 4) "Sinnlichkeit"; 5) "Mannheit", "Manneskraft"; 6) "Begierde"; 7a) "Penis" oder 7b) "Vagina" (das männliche oder weibliche Sexualorgan als Sitz oder Verkörperung der Begierde); 8) Testament; 9) männlicher Vorname
Schon die erste Zeile von 135 kann also auf folgende Weisen übertragen werden:
"Andre Frauen haben ihren Wunsch, ...
...
du hast deinen Willen"; .... du hast deinen Eigensinn"; .... du hast deine Sinnlichkeit"; ... du hast deine Begierde"; ... du hast deine Muschi"; .... du hast deinen (meinen, seinen) Schwanz"; du hast einen Ehemann und/oder einen/mehrere Liebhaber namens Will",
und diese Mehrdeutigkeiten ziehen sich jeweils durch das ganze Sonett.
Da kein deutsches Wort auch nur einen Teil dieser Bedeutungen abdeckt, ist eine adäquate Übersetzung natürlich nicht möglich.
Sonett 136:
Zeilen 8 - 12 spielen mit dem englischen Sprichwort One is no number , "Die Eins ist keine Zahl" (Z. 8), das etwa dem deutschen "Einmal ist keinmal" entspricht (vgl. auch Sonett 8.14; zudem mit der Doppeldeutigkeit von nothing / something ("nichts" steht für das weibliche, "etwas" für das männliche Sexualorgan, vgl. Sonett 20)
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Ein böses (gewissermaßen frauenfeindliches) Gedicht über Liebe, die blind macht (vgl. 137), und die Geliebte, die es mit allen Männern treibt. Die Geliebte wird auf ihr Sexualorgan reduziert, das in verschiedenen Metaphern (die ich nicht alle in die deutsche Übersetzung einbauen konnte) umschrieben wird. In Z. 7 ist ihre Vagina "eine Bucht", in der die Augen "Anker werfen", wo alle Männer "reiten", in Z. 10 ist dieser Ort ein "Gemeinplatz" bzw. "allgemeiner Tummelplatz", in Z. 12 ein "wüstes Gesicht" und in Z. 14 gar eine "faule Seuche".
Die Reduktion der Frau auf ihr Sexualorgan, das Schlechtmachen der Frau als Nymphomanin, die Gleichsetzung mit einer "faulen Seuche", also als mit einer ansteckenden Krankheit (Syphilis) - frauenfeindlicher kann ein Text kaum sein, ABER: Shakespeare gelingt es auch hier, das Blatt noch zu drehen, denn die Aussage bleibt letztlich: "Ich liebe diese Frau und bin deshalb maßlos eifersüchtig"
Ein witziges Gedichtchen, das mit der Homonymität des englischen Wortes lie ("liegen"/"lügen") spielt. In seiner Freizügigkeit erinnert es mich an François Villon, es zeigt ein welterfahrenes, ein bisschen zynisches Paar, das einander beiliegt, jeder weiß, dass der andere lügt, aber man will diese Lügen hören, um dabei sich selbst und dem Partner etwas vorzumachen.
orthographische Alternative zu Z. 12: " Wie alt Mann ist, gibt Mann nicht gerne preis."
Variante ab Z. 9:
Ich könnte sagen: "Meine Liebste weiß,
dass jeder Blick von ihr gefährlich war,
drum wendet sie von mir das Feindsgeschmeiß,
so bringt's an andern Orten dann Gefahr."
Doch tu das nicht, ich bin schon fast am Schluss:
gib mir geraden Blicks den Gnadenschuss.
Vgl. auch Sonett 140.
140
Ein Erpressungsversuch: "Täusch mir Liebe vor, sonst verleumde ich dich"! Die Bitte um Blicke ist auch das Thema von Sonett 139, welches vielleicht die gelungenere Version ist. Vgl. auch 145.
141
Die negative Beschreibung der Geliebten ist ähnlich wie in Sonett 130, nur geht es dort um eine Ironisierung petrarkischer Sonetttraditionen. Dieses Sonett hier jedoch spricht der Geliebten jede sinnliche oder intellektuelle Faszination ab. Wie in Sonett 137 wird die Geliebte zudem als plague, als "Krankheit" (Syphilis?), "Pest" oder "Seuche" bezeichnet.
Z. 9: five wits: Wie 5 Sinne, gibt es in der Renaissance auch 5 Kategorien des Verstandes: gemeiner Hausverstand, Vorstellungskraft, Phantasie, Schätzungsgabe, Erinnerungsvermögen
Z.14: sinne Mit "Sünde" ist wohl nicht der Geschlechtsverkehr an sich gemeint, sondern der damit verbundene Ehebruch, wie sich später noch zeigen wird - vgl. allerdings auch 142:
Mit den ersten drei Worten scheint das Sonett unmittelbar an 141 anzuschließen, es erklärt, worin die Sünde denn besteht - aus Liebe. Im Gegensatz zum vorhergehenden Sonett wird hier die Geliebte nicht für alle Sinne hässlich gemacht, sondern ihre moralischen Qualitäten in den Dreck gezogen. Sie ist das Ziel der Liebe, die die Gefühle des Sprechers aber offenbar nur mit Hass erwidert.
Beim Vergleich der moralischen Qualitäten der beiden kommt allerdings der Sprecher selbst auch nicht viel besser weg: In Z. 4-8 wird die "moralische Integrität" der Lippen untersucht - die Lippen der Geliebten haben so oft falsche Liebesschwüre besiegelt (d.h. wohl: "Fremde geküsst") wie die des Sprechers. Da Küssen ein reziproker Vorgang ist, könnte bei gleicher Zahl damit nur die Zahl der zwischen der beiden ausgetauschten Küsse gemeint sein. Da dies hier aber ein Vorwurf sein soll, gibt der Sprecher automatisch zu, selbst ebenso oft fremd gegangen zu sein.
Der "Rentenklau" in Z. 8 ("von fremden Betten Mieten einkassieren") ist vielleicht nur eine Umschreibung für das "Stehlen" eines "harmlosen" Kusses, der eigentlich dem Ehepartner, mit dem man sich das Bett teilt, als "Zinsen" dieses Bettes zusteht, es kann aber auch eine Umschreibung sein für vollzogenen Ehebruch: die dem Ehepartner "zustehende" Rente, der "eheliche Pflichtvollzug" wird jemandem andern bezahlt.
In den Zeilen 7 und 8 And seald false bonds of loue as oft as mine, / Robd others beds reuenues of their rents. hängt die Interpretation von einem Komma ab: Siegelten die Lippen der Geliebten so oft falsche Liebesschwüre wie die Lippen des Sprechers fremde Betten abgrasten (kein Komma am Ende von Z. 7: Anzahl deiner falschen Liebesschwüre = Anzahl der von mir in fremden Betten geholten Renten), oder siegelten beide Lippenpaare gleich oft falsche Liebesschwüre, und nur der Geliebten Lippen kassierten Mieten ein in fremden Betten? Das wäre widersinnig, wenn mit besagtem "Rentenklau" nur Küssen gemeint wäre. Aber auch bei Ehebrüchen verhält es sich wie beim Küssen - auch ein Ehebruch ist eine reziproke Angelegenheit, sobald der Sprecher mit der Geliebten im Bett liegt, kassieren beide eine ihnen nicht zustehende "Rente" ein.
Z.11f: Eine botanische Metapher. Die Angesprochene soll in ihrem Herzen Mitleid pflanzen wie einen Baum, der dann wächst; wenn sie selbst Mitleid zeigt, wird es auch ihr entgegen gebracht werden (Z. 12 Thy pitty may deserue to pittied bee). Das Schlusscouplet würde dann denselben Gedanken wiederholen. Die Fügung ist etwas merkwürdig, deshalb gibt es auch die Emendation
Thy pitty may deserue to pittied mee - der Sprecher würde dann hauptsächlich selbst um Mitleid betteln und hofft, dass es ihm, dem zu Bemitleidenden ("pittied mee"), als Lohn zukommen wird:
das wächst und mir einst zusteht als mein Lohn
Z. 1: Loe, as leitet einen humoristischen homerischen Vergleich ein, der sich bis Z. 9 durchzieht ("Schau, wie die besorgte Hausfrau ... / So rennst auch du..."). Die Situation des Sprecher entspricht der eines Kleinkinds, seine Geliebte lässt ihn zurück, um einem Federvieh nachzujagen. Allerdings könnte Loe, as auch als ein Druckfehler für Love, as (Liebe ist wie ...) gelesen werden.
Z. 13 "Will" ist kursiv geschrieben, vgl. Sonette 135&136 Wie bei Sonett 135.1 basiert der Witz auf dem Sprichwort "Eine Frau muss ihren Willen haben" bzw. "die Frau hat ihren eigenen Willen". Möglich, dass der dritte Mann, das "Federvieh", dem die Geliebte nachrennt, auch Will heisst, man kann die Stelle aber auch so lesen, dass die Frau, auch wenn sie "ihren Willen nicht bekommt" im Sprecher namens Will dann eben trotzdem "ihren Willen" behält.
Das Sonett beginnt mit dem Bild der Psychomachie (Schutzengelchen und Teufelchen, die sich um die Seele des Menschen streiten bzw. ihm bei seinen jeweiligen Entscheidungen links und rechts etwas ins Ohr flüstern). Das Engelchen - der schöne Mann - erinnert an den häufigen Adressaten der Sonette 18-126, coloured ill (Z. 4) heißt nicht nur "hat einen teilweise schlechten Charakter", sondern erinnert, wenn man es wörtlicher interpretiert als "schwarz (übel) gefärbt" an die Dark Lady als schwarzhaarige Frau.
Man kann das Sonett als witzige Ausmalung einer solchen Psychomachie, verbunden mit dem platonischen Bild der zwei Pferde (einem weißen und einem schwarzen), die die Seele ziehen lesen (vgl. auch Fausts "Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust"); im Kontext der ganzen Sonette und der Geschichte, die wir uns daraus machen, ist es aber auch ein zentrales Sonett im Rahmen der Dreiecksgeschichte (vgl. Themen); in Sonett 40 und 41 wurde der Mann angeklagt, den Sprecher mit dessen Freundin hintergangen zu haben; die Schuld liegt dort an der Schönheit des jungen Mannes, der niemand widerstehen kann, und an seinem jugendlichen Leichtsinn; hier sehen wir diese Situation umgedreht, nicht dem jungen und unerfahrenen Mann wird die Schuld gegeben, sondern die erfahrene Frau ist der Teufel, der den jungen Mann zur Sünde verführt.
Die religiöse Metaphorik darf nicht zu wörtlich verstanden werden - die "Hölle" ist sehr irdisch, es sind Liebesschmerzen, Eifersucht, die schmerzvolle Erfahrung, hintergangen worden zu sein; die hell in Z. 12 ist noch weit konkreter eine Vagina.
Das Sonett endet mit einer witzigen Umdrehung religiöser Bilder, dem Fall der Engel und der Vertreibung aus dem Paradies: nicht Gabriel, der gute Engel, verjagt mit dem Feuerschwert den bösen aus dem Himmel oder dem Paradies, sondern der böse verjagt den guten aus der Hölle - oder er jagt den guten samt dessen feurigen "Schwert" aus der Scheide, nachdem er ausgefeuert hat, er "feuert ihn aus", d.h. entzieht ihm das Feuer.
Eine leichte Bagatelle, ein kleines Witzchen zur Situation, die in den Sonetten 139 und 140 behandelt wird: Die Geliebte hasst den Sprecher bzw. liebt ihn nicht mehr. Er ist aber schon zufrieden, wenn sie nur "Ich hasse" statt "ich hasse dich" sagt.
Die Leichtigkeit des Sonettchens wird noch durch die ungewöhnliche Vierfüßigkeit unterstrichen (alle anderen Sonette sind in fünffüßigen Jamben).
Z. 9 hate away wird oft als Anspielung auf Ann Hathaway, Shakespeares Frau, verstanden.
Z. 14:
Da die Typographie in Q keine Klarheit schafft, lässt sich das Ende auf zwei Arten lesen: And saved my life saying "not you", oder: And saved my life saying not "you". Diese zweite Variante scheint mir nicht nur witziger, sie ist wohl auch die einzig mögliche. Die Anredeform zwischen Geliebten muss thou sein (das Gedicht handelt eindeutig von einer geliebten Frau, alle anderen Gedichte dieser Art gebrauchen thou). Das fehlende you am Ende eines Gedichts, in dem ein thou (bzw. hier flektiert ein thee) zu erwarten wäre, ist wohl nicht nur durch den Reim bedingt, ein you würde die endgültige Entfremdung signalisieren, während ein I hate thee noch halbwegs zu ertragen bzw. zu ändern ist (vgl. oben zu you/thou) - wer weiß, vielleicht verschweigt der Sprecher auch, dass tatsächlich ein thee folgte, denn hate verlangt schließlich ein Objekt.
Ein konsequenter Schluss, der dies auch in der Übersetzung klar machen würde, wäre:
"Ich hass ... " - und dann besinnt sie sich -
Ich lebe noch, es folgt kein ... "Euch"!
oder in modernerer Form:
"Ich hass ... " - und dann besinnt sie sich -
Ich lebe noch, es folgt kein ... "Sie"!
Der fehlende Reim und das reimmäßig zu erwartende "dich" würden genau auf diese "Ungereimtheit" aufmerksam machen, nur, leider, wäre all dies ohne Anmerkungen nicht ersichtlich.
In Z. 2 ist offenbar den Druckern ein Fehler unterlaufen, die Wiederholung aus der ersten Zeile ist nicht sinnvoll und passt auch metrisch nicht. Ein einzelner Jambus fehlt aber, wenn man diese Wörter weglässt. Vorgeschlagene Emendationen: Fooled by, Foiled by, Spoiled by, Swayed by, Starved by, Prey to, Bound by, Grieved by, Ruled by etc.
Das Sonett passt nicht in den Umkreis der Dark Lady-Gedichte. Wie in121 (mit dem es aber auch nichts zu tun hat) geht es um allgemeine philosophische oder moralische Fragen. Nicht nur der reine Körperkult, sondern auch das klassische "Mens sana in corpore sano" wird verworfen, etwas banal gesagt: Man sollte nicht für den Körper, sondern nur für den Geist leben, das Innere (die Seele) pflegen, dafür aber den Körper vernachlässigen.
Die Metaphorik ist ziemlich komplex: Das Gedicht beginnt mit einem Bild des Kosmos: Die Seele ist das Zentrum, die Sonne des Mikrokosmus Mensch, der gemäß Bibel aus Erde gemachte Körper verkörpert dabei auch die Erde, die sich um diese Sonne dreht. Auf dieser Erde ist nun eine Rebellenarmee, die die Seele in ihrer angestammten Festung belagert, so dass sie hungern muss. Trotzdem malt sie die Außenwände ihrer Burg mit kostspieligen bunten Farben an. Dies ist Verschwendung, denn das Anwesen (aus der kriegerischen Metapher sind wir nun beim normaleren Hausbesitz gelandet: die Burg bzw. der Körper ist nun ein Herrensitz) ist morsch und wird bald zerfallen. Der Herr und Mieter (die Seele) sollte deshalb besser auf Kosten der Dienerschaft (des Körpers) leben. Diesen werden die Würmer fressen, deshalb lohnt es sich gar nicht, dafür Ausgaben zu machen. Was man für ihn ausgibt (jetzt befinden wir uns in der Finanzwelt mit buy und sell, Termingeschäften und Aktien), sollte man anders investieren, in "göttliche Termine", und dafür die minderwertigen Stunden "verkaufen". Sich von der eigenen Substanz zu nähren heißt, dem Tod sein Fressen wegnehmen - dadurch wird er ausgehungert und stirbt, und dann gibt es kein Sterben mehr.
Wie in vielen andern Sonetten (vgl. Themen: Kosmetik als Fälschung) wird painting als Kosmetik verstanden und verdammt. Statt dem Körper zu dienen und diesen zu pflegen, sollte die Seele "auf Kosten des Körpers" leben und so den Tod bezwingen, indem sie ihm (und den Würmern) diesen Körper als Nahrung selbst entzieht. Eine körperfeindliche Haltung, die auf Askese, Körpervernachlässigung und Körperverzicht hinausläuft.
"Liebe macht verrückt."
Past cure I am, now Reason is past care, (Z. 9): Das sprichwörtliche Past cure, past care ("was vorbei ist, ist vorbei") ist hier in neuem Sinne eingewoben, lässt sich aber im Deutschen leider nicht wiedergeben.
"Liebe macht blind" (vgl. auch 137)
Cupido, Eros oder Amor werden jeweils als blinde Knaben (oder mit einer Augenbinde) dargestellt. Die personifizierte Liebe sieht also eigentlich nicht nur schlecht - wie hier im Sonett -, sondern überhaupt nicht.
Z. 13 ist witzig - dass die Sonne nicht sieht, wenn der Himmel wolkenbedeckt ist, ist natürlich ein logischer Irrtum: Wenn sie sehen könnte, sähe sie Wolken. Aber sie kann uns dann nicht mehr sehen. Die Personifikation der Sonne (Sol) ist im Englischen wie im Lateinischen männlich - der Vergleich mit dem männlichen Sprecher also passend.
Das Sonett steht in der Reihe der Dark Lady-Sonette, könnte aber genauso gut auch im ersten Teil stehen - es erinnert an die Sonette 35, 49, 88, 89, 90. Alle diese Sonette zeigen die Bereitschaft zur Selbstauslöschung, die Bereitschaft, sofort die Seite des andern zu übernehmen, sogar gegen die eigenen Interessen. Die rhetorische Frage, ob denn die Feinde des Adressaten nicht auch die Feinde des Sprechers seien, erinnert an den Schluss von Sonett 89. Die Sklavenmetapher erinnert an Sonett 59. Da diese im Zyklus "früheren" Sonette aber so wenig klar an einen Mann gerichtet sind wie dieses hier an eine Frau (vgl. oben), sind natürlich beide Möglichkeiten offen: Sonette 35, 49, 88, 89 und 90 gehören in die Reihe um die Dark Lady, oder dieses Sonett hier gehört in die andere Reihe. Und natürlich ergibt sich noch eine dritte Möglichkeit: Es sind lauter verschiedene Sonette zum Thema Beziehungsbruch.
Es gilt dasselbe wie für 149
Eine klassische kleine Schweinerei, zu der es eigentlich nicht viel zu erklären gibt - außer wohl, dass man in der Renaissance offensichtlich nicht prüde war.
conscience als con-science (von frz. con) ist keineswegs "Gewissen" (denn was hätte das mit Liebe zu tun?), sondern eben "Mösenwissen", von dem die zu junge Liebe (das Knäblein Amor) eben noch nichts weiß, obwohl es dafür verantwortlich ist.
Die meisten Übersetzer haben trotzdem"Gewissen" gewählt, was blanker Unsinn ist. Mir gefällt dagegen Günter Plessows (Kritik der Liebe. Shakespeare's Sonnets & A Lover's Complaint) "Erkennen" - was wunderschön passt, wenn moderne Leser noch vom biblischen Sinn eine Ahnung haben.
Ein letztes Gedicht aus der Serie um die Dreiecksbeziehung (vgl. Themen)
Wie vielfach hier die Treue bzw. Liebesschwüre gebrochen werden, ist nicht ganz klar. Z.4 after new loue bearing heißt wörtlich: "nachdem sie eine neue Liebe (auf sich) getragen hat" - also bei bzw. unmittelbar nach dem Liebesakt in Missionarsstellung. Kann sein, dass die verheiratete Dark Lady den Liebhaber mit einem weiteren Liebhaber - zum Beispiel dem mysteriösen jungen Mann - betrügt. Der doppelte "Ehe-" bzw. "Beziehungsbruch" kann aber auch nur darin bestehen, dass sie weiter noch ihrem Ehemann "treu" bleibt, also (beispielsweise) am Nachmittag dem Geliebten, am Abend jeweils dem Ehemann Treue schwört, dabei jeweils verspricht, den anderen zu hassen, und so laufend "doppelt" Treue bricht.
In einer biographischen Lesart müsste man anmerken, dass Shakespeare zum Zeitpunkt, da er dieses Sonett vermutlich schrieb, ja eigentlich auch verheiratet gewesen wäre. Aber die Sonette sind nicht so persönlich zu verstehen.
Die beiden letzten Sonette sind nahezu identisch. Sie beginnen mit einer mythologischen Geschichte: Amor (oder Eros oder Cupido) liegt schlafend im Grase, als eine Schar Nymphen, die der Diana Keuschheit schworen (also quasi mythologische Nonnen) an ihm vorbei trippeln. Eine dieser Nymphen ergreift vorwitzig Amors "Stab" (einerseits natürlich seine Fackel, mit der er seine Opfer in Liebe entbrennt, anderseits aber auch seinen Penis). Um die Welt von den Verirrungen der Liebe zu retten, löscht sie diese Fackel in einem bewaldeten kühlen Grunde an einer Quelle (die Freudsche Deutung "Vagina" braucht man bei diesere Topologie nicht lange zu suchen - sie ist vom Dichter intendiert). Diese Quelle wird durch die Liebesfackel so heiß, dass sie bis heute als Bade- und Kurort gegen Liebesleiden besucht wird (einerseits, um sich von Liebe zu befreien, aber wohl auch von Liebeskrankheiten - Syphilis), auch der Sprecher besucht diese Heilquelle.
Soweit sind die beiden Sonette identisch. In Sonett 154 wirkt die Kur auf den Sprecher nicht, weil er selbst schon in Liebe entbrannt ist - das Feuer wird nicht gelöscht, es heizt nur das Wasser. Der wunderschön symmetrische dreifache Chiasmus Loues fire heates water, water cooles not loue ("Liebe heizt Wasser, Wasser kühlt nicht Liebe") lässt sich auf Deutsch leider nicht wiedergeben - die sechs Wörter "Liebe" (2x), "Wasser" (2x), "heizt" und "kühlt" sprengen bereits den Rahmen einer Verszeile.
Sonett 153 spinnt den Mythos ein bisschen weiter und erklärt, weshalb der Sprecher in Sonett 154 bereits mit dem Liebesfeuer versehen ist - Cupido hat seine Fackel wieder frisch entzünden können an den Augen der Dark Lady. Auch der Sprecher hat sich von ihren Augen die Brust verbrennen lassen - was der Grund ist, dass er Heilung sucht.
Anmerkungen:
1 - 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27/28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44/45, 46, 47, 48, 49, 50/51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 13l, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 154
Zu den Sonetten:
1, 2, 3, 4, 5/6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15/16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27/28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44/45, 46, 47, 48, 49, 50/51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64 /65, 66, 67/68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75 |
76, 77, 78/79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 118/119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 135 / 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 154 |
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Sh:in:E
Shakespeare in Europe
University of Basel, Switzerland
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last changes: August 2005