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Basler Zeitung, Donnerstag, 25. März 1999, Nr. 71 (S.45)

Shakespeares Sprache: Verführung und Herausforderung

 

von Sylvia Zysset

 [Vergleich von sechs Übersetzungen zu Romeo und Julia, Zweiter Akt, 2. Szene, 130-36]

 

«Shakespeare in Love», Shakespeare in Translation: Am Englischen Seminar der Universität Basel werden die Dramen neu übersetzt - in philologisch präzise Prosa.

 

Nicht nur mit Shakespeares Biographie und Werk treibt der Film Shakespeare in Love   sein vergnüglich ironisches Spiel, auch Shakespeares Sprache nimmt darin eine zentrale Stellung ein. Einerseits bestehen die Dialoge aus einem wahren Feuerwerk an - oft leicht verfremdeten - Shakespeare-Zitaten, andererseits versteht es Regisseur John Madden, die Möglichkeiten des Films in den Dienst des Textes zu stelle n, wenn es darum geht, nicht nur die Romantik, sondern auch die Erotik von Shakespeares Sprache zu verdeutlichen.

Das Stück Romeo und Julia  mag gerade im deutschsprachigen Raum dank der noch immer weitverbreiteten Übersetzung August Wilhelm Schlegels als Inbegriff der romantischen Liebe gelten, der Originaltext Shakespeares zeichnet sich jedoch ebenso sehr durch unzählige Anspielungen aus, die unter die Gürtellinie zielen. «What's Montague? It is nor hand, nor foot...nor any other part belonging to a man»  sinniert Julia, noch bevor sie Romeo unter ihrem Fenster entdeckt hat. Schon die Anspielung auf diesen «anderen Teil» des Mannes war dem Romantiker Schlegel zu viel; um sie zu vermeiden, stellte er lieber einige Zeilen um. Wenn es die filmische Schnittechnik nun ermöglicht, dass der Text der berühmten Balkonszene gleichzeitig im Theater und im Liebesbett gesprochen wird, erhält die Sprache durch visuelle Unterstützung zumindest einen Teil ihrer sinnlichen Zweideutigkeit zurück.

 

Die freigebige Julia

«My bounty ist as boundless as the sea, My love as deep, the more I give to thee, The more I have, for both are infinite» : Dass hier mit «bounty» auch  Julias lustvolle sexuelle «Freigebigkeit» gemeint ist, wird beim Blick auf die Leinwand schnell klar. Liest man jetzt nur die deutschen Untertitel des Films, bekommt man davon nicht sehr viel mit. Immerhin, im Kino kann man sich beim Lesen der Übersetzung noch an der Sprachmelodie des Originals im Hintergrund erfreuen. - Anspielungs-reichtum und Bedeutungsvielfalt, Sprachmelodie und -rhythmus, all das macht das Verführerische der Sprache Shakespeares aus. Wie kann man diese Fülle einem deutschsprachigen Publikum vermitteln? Wenn Romeo seine Angebetete dazu auffordert, der Mondgöttin abzuschwören (II.2.7.-9), bedeutet dies nichts anderes, als dass er sich wünscht, sie möge ihre Keuschheit aufgeben. Weil uns heute aber der Wissens-hintergrund des elisabethanischen Publikums fehlt, ist an solchen Stellen eine kurze Erklärung unerlässlich. Auch das englischsprachige Publikum ist heute auf Hilfestellung angewiesen, denn die Sprache hat sich in den letzten 400 Jahren beständig weiterentwickelt; viele Wörter haben nicht mehr die gleiche Bedeutung wie zurzeit ihrer Niederschrift, was Publikum, Regisseure, aber auch Übersetzer in die Irre führen kann.

 

Der schweissbedeckte Hamlet

In der Fechtszene im letzten Akt von Hamlet beispielsweise beschreibt Hamlets Mutter ihren kämpfenden Sohn mit den Worten «He's fat and scant of breath» (V.2.276). Ein dicker Hamlet? Nein, denn semantische Untersuchungen haben ergeben, dass «fat» zurzeit Shakespeares auch «schweissbedeckt» heissen konnte, da Schweiss damals als eine fettige Substanz angesehen wurde. Doch welcher englische Theaterbesucher wüsste das heute schon auf Anhieb? Das Beispiel macht deutlich, dass bei Übersetzungen oft genaue semantische Abklärungen notwendig sind, wenn man in der Interpretation ganzer Stücke oder Figuren nicht fehlgehen will. «Weg mit ihrem fetten Hamlet!», ruft etwa Wilhelm Meisters Gesprächspartnerin bei Goethe aus, «stellen sie uns ja nicht ihren wohlbeleibten Prinzen vor!»... Eine besondere Herausforderung bei der Shakespeare-Übersetzung bereitet das allgegenwärtige Wortspiel. Als der Dramatiker seine Stücke verfasste, gab es für die englische Sprache noch keine festgelegten Schreibweisen und Wortbedeutungen (das erste englische Wörterbuch erschien 1604, fand aber kaum grosse Beachtung). Dem kreativen und spielerischen Umgang mit dem Material Sprache waren somit keine Grenzen gesetzt: immer neue Wörter wurden aufgenommen, erfunden oder umgewandelt und Bedeutungsgrenzen waren fliessend.

Kein Wunder also, dass ein Wort bei Shakespeare sehr oft zwei oder gar drei Bedeutungen gleichzeitig haben kann. Inhalte und Form sind hier im Englischen nicht zu trennen. Nur selten können solche Wortspiele aber direkt ins Deutsche übersetzt werden, ohne dass sie ihren Sinn verlieren, und müssen in literarischen Übersetzungen durch andere Witze ersetzt werden, wenn man die Komik der Stelle nicht ganz verlieren will. «Ask for me tomorrow, and you shall find me a grave man. I am peppered, I warrant for this world», sagt der noch in seiner Todesszene Witze reissende Mercutio (II.6.96-8). «Fragt morgen nach mir, und ihr werdet einen stillen Mann an mir finden. Für diese Welt, glaubt's nur, ist mir der Spass versalzen», übersetzt Schlegel.

 

Der Witze reissende Mercutio

Bei Erich Fried heisst es da: «Fragt morgen nach mir - pst! - da sollt ihr einen stillen Mann finden. Für diese Welt, ich sag's euch, ist mir's versalzen.»  In seiner Fassung aus dem Jahre 1995 versucht Frank Günther den Witz freier zu vermitteln: «Kommt morgen zum Frühstück, Radieschen gibt's, gepfeffert hat's mich schon, glaubt's mir, die Welt hat's mir versalzen.» - Hier wird anschaulich, mit welchen Problemen Übersetzer zu kämpfen haben und warum jede literarische Übersetzung immer auch eine Interpretation sein muss, die von der Persönlichkeit des Übersetzers sowie Sprache und Vorstellungen ihrer Entstehungszeit beeinflusst wird.

«Was sagt denn nun aber Mercutio bei Shakespeare?» mag man sich in Anbetracht dieser verschiedenen Versionen zu Recht fragen. Um dies genau zu beantworten, braucht es neben der literarischen noch eine weitere Übersetzungs-kategorie: die der wissenschaftlichen Übersetzung. Sie erhebt keinen Anspruch auf einen eigenen künstlerischen Wert, sondern konzentriert sich ganz darauf, die Komplexität des Originaltextes, seiner Bedeutungen und Wirkungen aufzuschlüsseln und den Lesern zugänglich zu machen.

Um eine solche Übersetzung handelt es sich bei der Englisch-deutschen Studienausgabe der Dramen Shakespeares, an der Anglistinnen und Anglisten an der Uni Basel mitarbeiten (siehe Kasten). Bei der oben zitierten Stelle übersetzt diese Ausgabe zunächst: «Fragt morgen nach mir, und ihr findet einen stillen Mann. Ich bin garantiert erledigt für diese Welt.»  Den direkt unter dem Text befindlichen Fussnoten kann man dann aber weiter entnehmen, dass das Wort «grave» Mercutio dazu dient, ein makabres Spiel mit den Bedeutungen «gesetzt, ernst» und «Grab» zu treiben, und das Verb «to pepper» «umbringen, den Todesstoss versetzen» bedeutet.

Wortspiele hatten bei Shakespeare und seinen Zeitgenossen allerdings nicht nur die Funktion, Lacher zu erzeugen, sondern waren auch ein Mittel, um die Doppelbödigkeit der Sprache und das Auseinanderklaffen von äusserem Schein und innerem Sein zu verdeutlichen.

Solche Mehrdeutigkeiten haben beim Dramatiker deshalb auch oft eine charakterisierende Funktion, wenn sie, von Figuren bewusst oder unbewusst verwendet, mehr über deren Absichten und Gefühle preisgeben. Muss man sie auslassen oder ersetzen, dann geht von der Reichhaltigkeit des Textes und der Personenzeichnung nicht wenig verloren.

Die Studienausgabe hat hier die Möglichkeit, in einer Prosaübersetzung mit Fussnoten die verschiedenen Bedeutungsstränge, Anspielungen und Klangwirkungen des englischen Textes zu vermitteln. In Einleitungsteil und Szenenkommentar können ausserdem Vorbilder und historische Hintergründe erklärt sowie neuste Erkenntnisse der Shakespeareforschung, u. a. bezüglich der Bühne der Shakespearezeit, dargelegt werden. Denn, wie man heute weiss, trägt oft gerade die Kenntnis der Möglichkeiten des elisabethanischen Theaters viel zum Verständnis der Stückwirkung bei.

So soll die Fülle des Originaltextes möglichst vollständig und semantisch exakt den deutschsprachigen Lesern zugänglich gemacht werden, damit sich persönliche Interpretationen, neue literarische Übersetzungen sowie theatralische und filmische Umsetzungen auf diese Informationen abstützen können.

Wahrscheinlich ist es ja gerade diese Fülle, welche immer neue Auseinandersetzungen mit dem Dramatiker anregt und die Goethe schon im Jahre 1813 bemerken liess: «Es ist aber über Shakespeare schon so viel gesagt, dass es scheinen möchte, als wäre nichts mehr zu sagen übrig; und doch ist dies die Eigenschaft des Geistes, dass er den Geist ewig anregt.»

 

Sylvia Zysset

KASTEN:

Eine neue Shakespeare-Übersetzung

Am Englischen Seminar der Universität Basel setzen sich Wissenschaftler mit den Verführungen und Herausforderungen von Shakespeares Texten auseinander. Zum einen steht der fortdauernde Einfluss des Dramatikers in der europäischen Kultur im Zentrum des in Basel begründeten SH:IN:E- Projektes, zum anderen entstehen hier schon seit einigen Jahren Übersetzungen für die Englisch-deutsche Studienausgabe der Dramen Shakespeares, die im Stauffenburg Verlag, Tübingen, erscheint.

Die Englisch-deutsche Studienausgabe ist seit der Ausgabe von Nicolaus Delius Mitte des 19. Jahrhunderts das erste und einzige Projekt einer vollständigen wissenschaftlichen Ausgabe der Dramen Shakespeares für Leser des deutschsprachigen Raums.

Die Ausgabe, die unter dem Patronat der Deutschen Shakespeare Gesellschaft steht, wird von einem Herausgebergremium aus schweizerischen, österreichischen und deutschen Shakespeare-Forschern betreut, dem sowohl Sprach- als auch Literaturwissenschafter angehören.

Die Ausgabe ist zweisprachig und bringt jeweils auf der rechten Buchseite den sorgfältig edierten englischen Text; diesem gegenüber steht auf der linken Seite eine deutsche Prosafassung, die den Originaltext so sinn- und wortgetreu wie möglich wiedergibt.

Die Prosaübersetzung versucht nicht lautliche oder rhythmische Effekte des Originals nachzubilden, denn sie will literarische Übersetzungen nicht konkurrenzieren, sondern diese vielmehr ergänzen oder als Grundlage für neue spielbare Fassungen dienen.

Die Prosafassung wird von Fussnoten begleitet. Sie kommentieren die deutsche Übersetzung und versuchen den Lesern jene Dimensionen des englischen Originals zu vermitteln, die in einer wörtlich genauen Übersetzung nicht erfasst werden können.

In der Einleitung zu jedem Stück wird ein Überblick über Text-, Aufführungs- und Interpretationsgeschichte geliefert. Als wichtige Verständnishilfe findet sich am Ende jedes Bandes zudem ein ausführlicher Kommentar, der das Stück Szene für Szene begleitet.

In der Reihe Englisch-deutsche Studienausgabe der Dramen Shakespeares wurden an der Universität Basel bisher die Stücke Othello (B. Engler), Troilus and Cressida (W. Brönnimann), Julius Caesar (T. Pughe) und Timon of Athens (M. Marti) herausgegeben. Shakespeares Auseinandersetzung mit der Figur der Jeanne d'Arc, Henry VI, Part 1 (J. Jermann) ist soeben fertig geworden. In der Entstehungsphase begriffen sind zurzeit Übersetzungen zu King Lear, Titus Andronicus und The Two Gentlemen of Verona. Schon erhältlich sind ausserdem Measure for Measure, Richard II, The Comedy of Errors, The Merchant of Venice, The Winter's Tale, All's Well that Ends Well, The Taming of the Shrew, Much Ado about Nothing und Antony and Cleopatra. Im April kommen drei neue Bände heraus: Romeo and Juliet, Henry V  sowie Love's Labours Lost, das übrigens bald in einer Musicalversion von Kenneth Branagh in die Kinos kommt. In den nächsten vier bis fünf Jahren sollen jährlich ein bis zwei Bände erscheinen.

Seit etwa einem Jahr finden in Basel im Rahmen von SH:IN:E regelmässig Treffen statt, an denen Gastvorträge und Seminare veranstaltet sowie laufende Projekte diskutiert werden. Dabei kommen u.a. folgende Fragen zur Sprache: Wie werden Shakespeare und seine Figuren (z. B. Shylock) in verschiedenen Kulturen und historischen Momenten verwendet, dargestellt, rezipiert und unterrichtet? Wie werden seine Werke in verschiedenen Genres (Oper, Roman, Film, Popsong usw.) adaptiert und modernisiert? Welchen regionalen, politischen und emotionalen Bedürfnissen dienen diese Adaptionen? Genaueres über SH:IN:E und anstehende Veranstaltungen sind der Website http://www. unibas.ch/shine zu entnehmen oder sind direkt vom Englischen Seminar, unter der Nummer 267'77'79, erhältlich.

Sylvia Zysset

Basler Zeitung, Donnerstag, 25. März 1999, Nr. 71 (S.45)

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